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João Pedro Stédile im Wahlkampf gemeinsam mit Präsidentin Dilma Rousseff. Mittlerweile kritisiert der Sozialaktivist ihre Wirtschaftspolitik scharf.

Foto: Reuters / UESLEI MARCELINO

"Tot oder lebendig". Der Gründer der brasilianischen Landlosenbewegung MST, João Pedro Stédile, ist verbale Angriffe gewohnt. Seit mehr als 25 Jahren kämpft er für eine Agrarreform und gilt als einer der scharfzüngigsten sozialen Kritiker in Brasilien. Doch ein offener Mordaufruf via Facebook mit einem Kopfgeld von 10.000 Reais (rund 3100 Euro) schockt selbst einen hartgesottenen Aktivisten.

Stédile erstattete Anzeige. Es sei höchste Zeit, dass die brasilianische Linke aufgerüttelt werde, sagte der 61-Jährige dann. Denn derzeit stehe viel auf dem Spiel.

Inzwischen ist klar, dass der Mordaufruf von einem Account aus der Kleinstadt Macaé im Bundesstaat Rio de Janeiro abgesetzt wurde. Stédile wird als "Feind des Vaterlandes" beschimpft, die Anzeige ist mit Mobilfunknummern zur Kontaktaufnahme versehen. Besonders erschreckend: Das Posting wurde binnen kürzester Zeit 1500-mal geteilt und mit positiven Kommentaren versehen.

Unversöhnliche Stimmung

Dabei ist der Ökonom und überzeugte Marxist nur ein Synonym für die neue unversöhnliche Stimmung in Lateinamerikas größter Volkswirtschaft. Das Land ist so tief gespalten wie wohl seit Ende der Militärdiktatur nicht mehr.

Die linksgerichtete Präsidentin Dilma Rousseff ist nach dem Skandal um den staatlich kontrollierten Ölkonzern Petrobras stark angeschlagen. Auch sie sieht sich im Netz einer Hasswelle ausgesetzt. "Dilma wach auf. Lula komm aus deiner Höhle", rief Stédile der Staatschefin und ihrem populären Vorgänger daher jüngst entgegen. Es gehe um die Verteidigung sozialer Errungenschaften.

Für Sonntag hat die konservative Opposition zu Großprotesten zur Absetzung Rousseffs aufgerufen. Hunderttausende werden erwartet. Auch wenn juristische Voraussetzungen fehlen, denkt sie ein Impeachmentverfahren an.

Krise hat sozialen Pakt zerstört

Einen Tag zuvor will die MST zusammen mit den Gewerkschaften ihre Anhänger mobilisieren. Rousseffs Krisenmanagement ist fahrig, sie reagiert nervös. Ihr bleibt nur, im TV für gewaltfreie Manifestationen zu werben.

"Die ökonomische Krise, in der sich Brasilien befindet, hat den sozialen Pakt zerstört", sagt ein Historiker von der Universität São Paulo, Lincoln Secco. Noch immer habe die regierende Arbeiterpartei eine starke Machtbasis in den ärmeren Schichten der Bevölkerung. "Doch die werden in der Politik nicht repräsentiert."

Nach zwölf Jahren Mitte-links-Regierung sind soziale Bewegungen ernüchtert. Die Agrarlobby stellt die stärkste Gruppe im Kongress und torpediert eine versprochene Landreform. Trotz großer Erfolge beim Kampf gegen Armut haben sich in den letzten 60 Jahren die Eigentumsverhältnisse auf dem Land kaum geändert. Noch immer besitzt ein Prozent der Bevölkerung 44 Prozent der Fläche. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 14.3.2015)