Der Theoriekünstler Jochen Höller vor seinem "Wittgenstein-Generator" im Atelier in der Wiener Leopoldstadt. In seinen jüngsten Arbeiten nimmt Höller den Geldbegriff beim Wort - und gewinnt aus dem gedruckten Handwerkszeug der Börsengurus Material für werthaltige Skulpturen.

Foto: Heribert Corn

Wertschöpfung ist unter Umständen ein beschaulicher Prozess. Der Künstler Jochen Höller unterhält zum Geld eine Art von Fernbeziehung. Sie ist von Geduld geprägt. In seinem Atelier stapeln sich die Klassiker der ökonomischen Theorie: Ratgeber, Kursberichte, Börsennotierungen, Anfängerlatein. Über Marx und dessen berüchtigtes Kapital kann er beinahe lachen. "Der wurde ja immer fehlinterpretiert", sagt Höller. Nicht nur Wertpapiere haben ihre Konjunkturen. Auch die Klassiker des Denkens unterliegen der zyklischen Entwicklung des Marktes.

Höller ist ein Enddreißiger und gebürtiger Amstettener. Seine Ausbildung erhielt er als Holz- und Steinbildhauer in Hallstatt und Linz. Irgendwann tauschte er die groben Werkstoffe gegen bedrucktes Papier. "Ich wollte weg vom Handwerk", sagt Höller. Er ist ein sanfter, ruhiger Zeitgenosse mit ausgesucht guten Manieren.

Heute liest der bildende Künstler ökonomische Wälzer wie Georg Simmels Philosophie des Geldes. Er geht dabei geduldiger vor als jeder Börsenmakler. Seite um Seite scannt er auf der Suche nach den einschlägigen Reizwörtern: "Geld", "Value", "Wert" und "Mehrwert". Höller sagt: "Ich lese die Texte dann nicht, sondern ich suche sie ab." Hat er das gesuchte Wort gefunden, löst er es mit dem Stanley-Messer heraus. Auf die waagrechten Schnitte folgen die senkrechten. Das Geld purzelt ihm förmlich in die Taschen.

Die von Höller benützten Bücher sehen nachher aus wie Lochstreifen. Die Tausenden von Zettelchen, die Höller durch Extraktion gewinnt, bilden eindrucksvolle Häufchen. Manche klebt er auf einen monochromen Bildhintergrund. Der Zaster bildet dann Wolkengebilde. Man muss sich Jochen Höller als glücklichen Menschen vorstellen. In einer besseren Welt wäre er Michelangelo Buonarroti. Sein "päpstlicher" Auftraggeber hieße nicht Julius oder Innozenz, sondern Dagobert Duck.

Mit Spiegel und Skalpell

Trotzdem scheint Höller, dessen aktuelle Ausstellung bei Mario Mauroner in Wien zu sehen ist, kein Fetischist zu sein. Eher gleicht er einem Sammler, der Banknoten aufliest, um sie ästhetisch zu begutachten.

Höllers Kunst ist so wunderbar kalt wie das Skalpell, dessen er sich ritzend bedient. Sein Handwerk ist das eines Chirurgen. Es hat gläsernen Boden. Die ausgeweideten Bücher bilden eine Zentrifuge. Unten, am Spiegel, kleben die Wörter. Sie bilden den Schnee vergangener Konjunkturen. Wer möchte, darf sich sogar an Kokain erinnert fühlen. Die "theologischen Mucken" (Marx) des Geldes ähneln nicht von ungefähr denen der Suchtmittel. Je mehr man von der Penunze hat, umso gieriger wird man. Höller ist der Logiker der Verwertung. Es kann passieren, dass er aus fünf Büchern ein einziges destilliert: das "Buch der Bücher", den zum Druckbild geronnenen Wert an sich.

Bei anderer Gelegenheit bilden die Sätze lange Papierstreifen, die durch einen Kupferring hindurchmüssen, worauf sie einen Extrakt bilden. Höller nimmt jeden Begriff beim Wort. Die Bändigung des Kapitalismus ist bei ihm eine formale Prozedur. Die Geldschnipsel landen im Becher. Sie werden aufgetragen und bilden den kläglichen Rest von etwas, das man verlässlich dann nicht hat, wenn man es braucht.

Papiergeldüberschwemmung

Der Künstler ist natürlich nicht taub für die Schönheit der Theorie. Unter allen Begriffen, deren sich Kapazitäten wie John Maynard Keynes genießerisch bedient haben, findet sich ein Lieblingswort. Höllers Ausdruck wird verklärt: "Papiergeldüberschwemmung". Ein anderer Lieblingsschmöker von Höller ist - neben Grimms Märchen! - Émile Zolas Börsenroman Geld. "Der passt gut zu Paris. Die haben dort große Erfahrungen mit Bankencrashs." Die Blasenbildung drückt er in Papierkugeln aus, fragilen Gebilden, die wie Kaltluftballone über Buchruinen schweben.

Den Stein der Weisen hat der Theorie-Aficionado natürlich ebenso wenig gefunden wie ein paar Zehntausend Denker vor ihm. Er sagt: "Gibt es in der freien Ökonomie den Punkt, an dem alle abgesichert sind?" Der reale Sozialismus hatte das Konkurrenzverhältnis im Wesentlichen abgeschafft. Mit der Befriedigung elementarer Bedürfnisse scheint es aber auch nicht getan. Heute sind Initiativen wie "Obamacare" mit der Androhung von Steuererhöhungen verbunden. Prompt lehnen auch bettelarme Amerikaner die Idee kategorisch ab. Höller lächelt gequält: "Die sind alle felsenfest davon überzeugt, es vom Tellerwäscher zum Multimilliardär zu schaffen." Die Heilsversprechen des Marktes gleichen dem tödlichen Gesang der Sirenen.

Die Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit ist in Höllers kristallklarer Welt ein nüchterner Prozess. Die Kunstwerke verschwinden hinter der Abbildfunktion der Zeichen. Nichts darf Mammon werden, Schmutz oder Materie. Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus hat Höller in die Bestandteile zerlegt. Die Wörter der aufgesprengten Paragrafen hat er an den Kanten zahlreicher Pressholzscheiben angebracht. Jede Scheibe vertritt die Stelle, die das Wort im Satz einnimmt. Aus der Neukombination der Wörter entstehen Gebilde von unanfechtbarer Schönheit. Jochen Höllers Kunst ist käuflich. Mit Kapitalströmen hat sie dennoch nichts gemein. Sie macht die Zeichen geschmeidig - und rettet sie so vor der Überflüssigkeit. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 14.3.2015)