In der Pilotfolge der Serie "Die Rückseite des Films" zeigen wir ein Tableaux vivant aus Berlin, für das Schauspieler Meissener Porzellanfiguren nachstellten: Klick zum Artikel mit dem Film

Foto: Östererichisches Filmmuseum

Paolo Caneppele vom Österreichischen Filmmuseum (links) und Siegfried Mattl vom Ludwig Boltzmann Institut.

Foto: Robert Newald Photo

Wien - Wenn wir an Filme denken, dann haben wir die große Leinwand im Sinn, das Kinoerlebnis, wenn wir auf dicken Polstersesseln in fremde Welten tauchen, und die Klassiker, die später im Fernsehen in schnöder Regelmäßigkeit wiederholt werden. Doch was wir dort zu sehen bekommen, ist nur ein winziger Teil des tatsächlich überlieferten Filmbestands.

Bei weit über neunzig Prozent des Drehmaterials handelt es sich um Zweckfilme, die oft nur zu einem Anlass gezeigt werden, oder um Rohmaterial, das die Filmschaffenden allein kennen und das heute verschlossen in Archiven liegt. Diese Aufnahmen vor den Vorhang zu holen ist das Ziel der neuen Serie "Die Rückseite des Films", die derStandard.at in Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum heute startet – eine Serie, die gleichzeitig unterhalten und einem Bildungsanspruch gerecht werden soll.

Charlie Chaplins erste Worte in eine Filmkamera

Im Zweiwochenrhythmus zeigen wir montags auf derStandard.at historische Beispiele solcher "ephemeren", also flüchtigen oder vergänglichen Filme. Darunter sind Wochenschauen und Amateurfilme, Outtakes, Probeaufnahmen und Trailer von Kinofilmen, Werbe-, Tourismus- und Propagandastreifen, Lehrfilme und Dokumente aus der experimentellen Frühzeit des Mediums.

Charlie Chaplin wird zu sehen sein, wie er 1931 in Wien bei einer Promotour für seinen Film "City Lights" zum ersten Mal in eine Filmkamera spricht. Oder ein zum Teil animierter Werbefilm der Konsum-Kette aus den 1960er-Jahren über das damals neue Konzept der Selbstbedienung im Einzelhandel und die ersten typischen Supermärkte. Oder auch Ausschnitte aus "Vena", einem halbstündigen Dokumentarfilm über die Kämpfe um die Befreiung Wiens durch die Rote Armee 1945.

Splitter der Erinnerung

"Nicht nur abendfüllende Spielfilme taugen als Reservoir der Erinnerung", sagt Paolo Caneppele, der Archivleiter des Österreichischen Filmmuseums und einer der Kuratoren der Serie. "Auch und gerade solche kleinen Filmchen können zu Splittern der kollektiven Erinnerung werden, und das ist das Hauptthema der Serie. Wir wollen die Beziehung zwischen den Bildern und den Orten beziehungsweise Zeitpunkten, an denen sie entstanden sind, für die Öffentlichkeit aufarbeiten", so Caneppele.

Diesen Kontext werden neben den Mitarbeitern des Filmmuseums auch die Historiker des Ludwig Boltzmann Instituts für Geschichte und Gesellschaft zu jedem Film der Serie in einem Begleittext mitliefern. Siegfried Mattl, der Leiter des Instituts, verspricht gerade bei den frühen Aufnahmen "eine Faszination, der man sich nicht leicht entziehen kann", zumal das Programm breit und die filmischen Zeugnisse vielfältig sind – vom Identifikationspotenzial beim Betrachten privater Urlaubsaufnahmen bis zu Filmrollen, die als Propagandawaffe in Kriegen instrumentalisiert wurden.

Nebenprodukte der Kinematographie

Mattl hält "das Bewusstsein, dass Film mehr ist als nur der kanonische Spielfilm, für extrem unterentwickelt." Eine Serie wie "Die Rückseite des Films", sei eine luxuriöse Möglichkeit, um dieses Bewusstsein zu schaffen, sagt Caneppele.

Und diese öffentliche Aufmerksamkeit sei auch nötig, um die aufwändige Konservierung und Archivierung solcher "Nebenprodukte der Kinematographie", die nur allzu leicht in Vergessenheit geraten, zu argumentieren: "Wenn wir diese Quellen nicht jetzt retten, wann sonst?" (Michael Matzenberger, derStandard.at, 16.3.2015)