Der Bischof der Zentralafrikanischen Republik, Dieudonne Nzapalainga, am Humanitarian Congress in Wien.

Foto: Florian Lems/MSF

Mit Imam Oumar Kobine Layama geht er in Dörfer. Gemeinsam vermitteln sie die Botschaft: "Baut das Land wieder auf!"

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"Jedes Mal, wenn die NGOs abziehen müssen, ist das ein Moment der Tränen, ein Gefühl verlassen zu werden. Ohne humanitäre Organisationen sind die Menschen den Rebellen ausgeliefert, das Land ist gesetzlos, weil der Staat aufgehört hat, zu existieren", berichtet Dieudonne Nzapalainga, Bischof der Zentralafrikanischen Republik.

Der "humanitäre Raum", also jener Freiraum, den es braucht, damit der Zivilbevölkerung geholfen werden kann, war Thema beim Humanitarian Congress in Wien. Damit Hilfsorganisationen in Konfliktgebieten helfen können, müssen für alle Parteien folgende Prinzipien gelten: Respekt der internationalen Menschenrechte, Sicherheit für humanitäre Einsatzkräfte und die Möglichkeit, Menschen in Not zu erreichen. Überfälle und Gewalt verhindern aber immer öfter den Zugang zur Zivilbevölkerung und lassen den humanitären Raum schrumpfen.

Sicherheit braucht einen funktionierenden Staat

Früher war Freiheit der höchste Wert, heute ist es Sicherheit: Schwache Staaten können ihre Bevölkerung nicht mehr schützen. Wie in der Zentralafrikanischen Republik, an deren Beispiel am Humanitarian Congress diskutiert wurde, ob der humanitäre Raum geringer wird. Der Staat im Herzen Afrikas ist so groß wie Frankreich – bei nur 4,7 Millionen Einwohnern. Korruption und politische Krisen haben die Infrastruktur zerstört, es gibt keine Spitäler, keine Polizei, keine Justiz. Die Säuglingssterblichkeit liegt laut WHO bei 96 von 1000 Geburten (in Österreich vier), der Analphabetismus bei 55 Prozent.

Oumar Kobine Layama, Imam der Zentralafrikanischen Republik, betont nachdrücklich, dass hinter jeder Zahl ein vom Bürgerkrieg betroffener Mensch steht: "Wir bereisen die Dörfer am Land und nehmen – wenn möglich – auch einen Arzt mit. Die Leute erzählen uns, dass vor zwei Jahren das letzte Mal ein Arzt in ihrem Dorf war."

Einzigartige Allianz der religiösen Führer

Wie es so weit kam, berichtet Nzapalainga: "Ende 2012 formierte sich die Rebellengruppe Séléka, weil das Land immer mehr verarmte. Präsident Bozizé versuchte die Christen zu mobilisieren, indem er Séléka mit Muslimen gleichsetzte. Als Gegenbewegung entstand die Anti-Balaka. Der Bürgerkrieg wurde zu einem Religionskrieg gemacht, denn das ist der einfachste Weg, Menschen zu instrumentalisieren und das Land zu spalten. Aber alle Rebellen verstoßen gegen die Gebote von Bibel und Koran."

Als die Situation mit dem Sturz von Bozizé im März 2013 eskalierte, war die Versuchung groß, uns in unsere Gemeinschaften zurückzuziehen", erinnert sich Layama. "Aber da haben wir religiösen Führer von Katholiken, Protestanten und Moslems entschieden, dass die Bevölkerung weiter zusammenleben soll und eine religiöse Plattform gegründet. Unser gemeinsames Auftreten beruhigt die Menschen."

Da sitzen sie, wie zwei Brüder, Bischof und Imam. Sie sprechen abwechselnd, immer wieder der Blick zum anderen, viel Wertschätzung ist zu spüren. Sie erzählen, wie sie entlegene Dörfer besuchen: Zuerst geht jeder zu "seinem" Dorfältesten, dann folgt ein gemeinsames Gespräch und danach gibt es eine Versammlung mit der ganzen Dorfbevölkerung. Die Botschaft: Legt die Waffen nieder, um das Land wieder aufzubauen. Geht euren früheren Beschäftigungen als Bauern nach, lasst die Kinder wieder zur Schule gehen. "In einem Ort wollten 700 vertriebene Moslems zurückkehren und wir fragten die Dorfobersten, ob das möglich sei. Sie durften zurückkommen und es gab seither keine Übergriffe – das ist eine Erfolgsgeschichte", erzählt Nzapalainga.

Gewalt schränkt den humanitären Raum ein

Yves Daccord, Chef des Internationalen Roten Kreuzes, stellt fest, dass NGOs der Bevölkerung nicht nur helfen, sondern sie auch schützen sollen. Aber kann akzeptiert werden, dass deren Mitarbeiter gekidnappt werden?

Im April 2014 wurde ein Spital in Boguila, in dem Ärzte ohne Grenzen (MSF) tätig waren, überfallen. Zum selben Zeitpunkt fand dort gerade ein Treffen mit Dorfältesten statt. 16 Zivilisten wurden getötet, darunter drei lokale Mitarbeiter von MSF. Soll man evakuieren oder mit reduzierten Teams zumindest minimale medizinische Hilfe leisten? Für Karoline Kleijer, sie koordiniert in Notfällen die MSF, sind das die schwierigsten Entscheidungen. Es gibt keine fertigen Lösungen für humanitären Raum, jedes Mal muss man neu Kontakte knüpfen.

Worte statt Waffen

Auf der religiösen Plattform gibt es bereits ein Bildungsprogramm und ein Gesundheitsprojekt, dazu kommt jetzt das Projekt Kommunikation: Mit einer professionellen Radiostation soll das ganze Land erreicht und täglich Botschaften des Zusammenhalts verbreitet werden.

Der humanitäre Raum erobert sich nur mit Geduld, Unterstützung der NGOs und gemeinsamen Dorfbesuchen. Im Westen wurde fast die gesamte muslimische Bevölkerung vertrieben. Jede dritte Familie hat – laut einer Umfrage unter Vertriebenen im Frühjahr 2014 – ein Familienmitglied verloren. Ist eine Aussöhnung je möglich? "Jeder muss sein Gewissen erforschen und seine Verantwortung – so kann man lernen mit Narben zu leben. Wahrheit und Gerechtigkeit können zu Versöhnung führen. Das Oberhaupt der Moslems und das Oberhaupt der Christen – wir sind zusammen, das ist das größte Beispiel", sagt Layama. Da strahlt sie, diese Ruhe und unerschütterliche Zuversicht, während Imam und Bischof sich die Hände reichen. Nzapalainga bestätigt: "Man muss geduldig sein, es gibt keinen Zauber. Wir brauchen noch viel Hilfe, um unsere Strukturen wieder aufzubauen. Doch die Zentralafrikanische Republik ist auch Vorbild für die Welt: Unsere Einheit ist das stärkste Symbol, das wir haben." (Michaela Ortis, derStandard.at, 12.3.2015)