150 Millionen Flugpassagiere sind an deutschen Flughäfen 2014 für einen Flug innerhalb Deutschlands oder Europas ein- und ausgestiegen. Jede Handlung die mit einer solchen Reise verbunden ist, produziert Daten:

Flug von Frankfurt nach Wien in der Economy-Class, am Tag vorher online gebucht von der IP- Adresse der Firma. Auf der gleichen Webseite noch einen Mietwagen am Flughafen Wien-Schwechat, Kategorie BMW 3er mit Vollkaskoschutz und Navigationsgerät, vorbestellt, das romantische Vier-Sterne-plus-Hotel in der Innenstadt gebucht, und dieses spontan an der Rezeption auf ein Doppelzimmer umgebucht. Alles mit der Firmenkreditkarte bezahlt.

Nennen wir diese Daten Reisedaten. Den Überblick, wer was, wie und wo speichert, wer welche dieser Daten legal oder illegal absaugt, auswertet und weiterverkauft, haben wir alle längst verloren. Doch gleichgültig sollte uns das nicht machen. Diese Daten beschreiben unsere Persönlichkeiten und unser Leben bis ins Detail. Und anstatt zu kapitulieren, müssen wir für Klarheit und unsere informationelle Selbstbestimmung kämpfen.

Unternehmen wie Polizei und Geheimdienste begehren diese Reisedaten. Im Fokus der europäischen Debatte stehen gerade die sogenannten Fluggastdaten, die von den Fluglinien zur Durchführung für jeden einzelnen Fluggast für jeden einzelnen Flug erstellt werden. Und wer glaubt, dass sich hinter den Fluggastdaten lediglich der Name des Fluggasts und die Flugnummer verbergen, der irrt gewaltig. Ein Fluggastdatensatz umfasst schnell drei oder vier kleinbedruckte Seiten. Dort finden sich eine Auflistung aller möglichen Anschriften und Kontaktinformationen, der Anrufe bei der Hotline der Fluglinie, gebuchte Sitzplätze, Zahlungsdaten oder Anschlussflüge. Selbst die IP- Adresse des Anschlusses, von dem die Buchung online getätigt wurde, ist aufgeführt. Hat man wie in der Aufführung eingangs neben dem Flug gleich auch Hotel oder Mietwagen gebucht, sind all diese Daten auch Teil des Fluggastdatensatzes. Bis zu 60 verschiedene Informationskategorien kann ein Fluggastdatensatz enthalten.

Der aktuelle Vorschlag auf europäischer Ebene sieht vor, diese Daten für fünf Jahre vorzuhalten. Vom Grundsatz her erinnert mich dies fatal an die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten. Diese wurde vor fast einem Jahr vom Europäischen Gerichtshof für grundrechtswidrig befunden und die zugrunde liegende Richtlinie für nichtig erklärt. Die Fluggastdatenspeicherung geht allerdings viel weiter. Mussten die Daten bei der Vorratsdatenspeicherung von den Unternehmen erhoben und nur nach einem prozessualen Verfahren, teilweise sogar unter richterlicher Anordnung an staatliche Stellen weitergeleitet werden, ist dies bei den Fluggastdaten nicht der Fall. Alle Fluggastdatensätze sollen zukünftig automatisch von den Fluglinien und Reisebuchungssystemanbietern an eine staatliche Stelle zur Rasterung weitergeleitet werden. Hunderte Millionen Flugreisen wären davon betroffen, jedes Jahr - jede Dienstreise, jeder Pauschalurlaub, jeder Städtetrip, jeder Flug im Inland.

Das Ziel der Datenweitergabe ist es, auf Jahre zurück im Nachhinein jede Flugreisebewegung von uns allen nachvollziehen und vergleichen zu können.

Und wenn man zufällig zweimal die gleiche Strecke geflogen oder im gleichen Hotel abgestiegen ist wie ein Schwerstkrimineller, steht man unverhofft im Fokus von Ermittlungen.

Die Verhältnismäßigkeit geht dabei vollkommen verloren. Polizei, Grenzschutz und Geheimdienste sollen unser aller Reiseverhalten auswerten, kategorisieren und speichern dürfen. Dies soll anlasslos, also ohne Vorliegen ei-nes Verdachts geschehen. Damit ist jede und jeder Reisende eine potenzielle Gefahr.

Und es ist noch nicht zu Ende. Wenn man erst einmal alle Flüge hat, kommt mit Sicherheit ein wild gewordener Innenminister oder Sicherheitshardliner daher, und will solch ein System auch für Fähren, Züge oder Busreisen aufbauen. Eine direkte Zugverbindung mit einem ICE zwischen Köln und London scheitert unter anderem auch daran, dass die britischen Behörden vorab Daten aller Zugreisenden haben wollen. Zum Glück verweigert dies die Deutsche Bahn bisher.

Ich selber habe für die Recherchen zu meinem Buch Was macht ihr mit meinen Daten? nachgefragt, um einen ersten Einblick zu bekommen, wie umfassend die Daten über mein Reiseverhalten sind: bei der Lufthansa, bei Air Berlin und dem Department of Homeland Security in den USA. Letzteres konnte mir beispielsweise im Jahr 2014 mitteilen, in welcher Reihe ich im Sommer 1999 (!) bei der Passkontrolle stand, als ich das erste Mal in die USA einreiste.

Damals wartete ich mit meinem Kinderreisepass in der Hand vor Schalter FD 19 am John-F.-Kennedy-Flughafen in New York. Und ich wurde daran erinnert, obwohl ich mich nicht einmal daran erinnern konnte, dass ich beim Check-in bei United Airlines ein Mietwagenangebot des Autovermieters Hertz abgelehnt habe und mit welcher IP-Adresse ich für einen Lufthansa-Flug den Sitzplatz auswählte.

All das sollte jede und jeden von uns erschrecken und darf uns nicht egal sein. Wir sprechen von einem Europa ohne Grenzen. Wie zynisch das ist, erleben wir mit den tausenden Toten an den Außengrenzen. In Wirklichkeit bauen wir neue, nun virtuelle Schlagbäume und Grenzzäune innerhalb der EU wieder auf, die alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht stellen. Das vollüberwachte Reisevergnügen wird morgen Realität sein, wenn wir nicht heute anfangen, den grenzenlosen Überwachungswahn und die damit einhergehenden Grundrechtsverletzungen zu stoppen und zurückzudrängen.(Malte Spitz, DER STANDARD, 12.3.2015)