Bild nicht mehr verfügbar.

Streikende Hafenarbeiter in Athen protestierten im November 2014 gegen die anstehenden Privatisierungsvorhaben der griechischen Regierung.

Foto: AP Photo/Kostas Tsironis

Es begann vor 30 Jahren in einem Schloss in Brüssel. Als 1985 die Vertreter von europäischen Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen und Europäischer Kommission erstmals im Château Val-Duchesse zusammentrafen, ging es um die Einbindung der Sozialpartner in die Entstehung des Binnenmarkts.

Obwohl seither die Sozialpartner schrittweise Kompetenzen in der Rechtssetzung der Union dazugewonnen haben, blieben die nationalen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände in den Mitgliedsstaaten die maßgeblichen sozialpolitischen Akteure. Die Wirtschaftskrise und auch die damit verbundenen wirtschaftlichen Vorgaben der EU für einzelne Krisenländer haben in den vergangenen Jahren die Position der Gewerkschaft in einzelnen Mitgliedsländern außerdem geschwächt.

Nun will die EU-Kommission unter dem Vorsitz von Jean-Claude Juncker die Sozialpartner wieder stärker in die Politik der EU einbinden. Unter dem Titel "Re-launching Social Dialog" fand Anfang März eine Konferenz in Brüssel statt, zu der die Kommission Vertreter von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite eingeladen hatte. Ob aus dieser Initiative etwas Konkretes entsteht, ist derzeit noch nicht abzusehen. Der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), der Belgier Patrick Itschert, ist vorsichtig zuversichtlich.

derStandard.at: Werden den Ankündigungen, die Sozialpartner auf EU-Ebene mehr einzubeziehen, Taten folgen?

Itschert: Wäre ich kein Optimist, wäre ich kein Gewerkschafter. In den vergangenen fünf Jahren, während der Amtszeit der Barroso-Kommission, gab es wirklich Angriffe auf die Sozialpartnerschaft. Kollektivverträge wurden aufgelöst und die Verhandlungsmacht der Gewerkschafter geschwächt. Selbst in die Struktur der Sozialpartnerschaft gab es in einigen Ländern massive Eingriffe.

Es gibt derzeit ein Ungleichgewicht in der Sozialpartnerschaft auf europäischer Ebene. Das ist eine schlechte Entwicklung. Die Sozialpartnerschaft ist nicht nur für Arbeitnehmer wichtig, sondern auch für die Stabilität des wirtschaftlichen Umfelds. Es stimmt, wir haben viele Reformen vor uns, aber diese können besser umgesetzt und implementiert werden, wenn die Sozialpartner eingebunden sind, als wenn Reformen einfach von der Arbeitgeberseite diktiert werden.

derStandard.at: Das Argument, dass Länder mit einer starken Sozialpartnerschaft besser durch die Krise gekommen sind, wird nun auch von der Kommission vorgebracht. In den vergangenen fünf Jahren hat die EU-Wirtschaftspolitik aber auch dazu beigetragen, den Einfluss der Gewerkschaften in einzelnen Ländern zu schmälern. Wie passt das zusammen?

Itschert: Das ist für mich ein Paradoxon. Auch der vor kurzem veröffentlichte Industrial-Relations-Bericht 2014 konstatiert die Schwächung der Sozialpartnerschaft in einzelnen Ländern. Die Kommission argumentiert, dass in der Krise schnelle Entscheidungen notwendig waren und einfach keine Zeit für die übliche Einbindung der Sozialpartner war.

derStandard.at: Wie glaubwürdig ist der nun von der Kommission geäußerte Plan, die Sozialpartner wieder besser in die politischen Prozesse einzubeziehen?

Itschert: Hier muss man sehr genau auf die Worte der Kommission achten. Derzeit ist die Rede von der Wiedereinführung des sozialpartnerschaftlichen Dialogs – nicht vom Wiederaufbau der sozialpartnerschaftlichen Strukturen. Aber wir müssen jetzt die Vergangenheit ruhen lassen.

Die Aussage von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im EU-Parlament, wonach er ein "Präsident des sozialen Dialogs" sein will, nehmen wir sehr ernst. Und auch, dass Juncker sagte, er will ein soziales Triple-A-Rating für Europa, all das geht für uns in die richtige Richtung. Juncker kommt aus Luxemburg, einem Land mit starker sozialpartnerschaftlicher Tradition. Valdis Dombrovskis, seit 2014 Kommissar für den Euro und sozialen Dialog, hat in seiner Zeit als lettischer Premier die Sozialpartner zumindest in die Reformbestrebungen während der Krise einbezogen. Ob ihn das nun zu einem Befürworter der Sozialpartnerschaft macht, kann ich nicht sagen. Den Weg, den Lettland wählte, um aus der Krise zu kommen, haben wir allerdings trotzdem stark kritisiert, denn es gab massive Einschnitte in das soziale Sicherheitsnetz.

derStandard.at: Könnte die Einbindung der Sozialpartner auch Gefahren bringen?

Itschert: Die Bevölkerung in den EU-Mitgliedsländern ist zunehmend frustriert. Das ist auch am Wahlergebnis in Griechenland abzulesen. Auch in Spanien, Portugal und Italien könnte es zu einem ähnlichen Ausgang kommen.

Derzeit scheint es, als gebe es eine Überzeugung, dass vonseiten der EU in einen sozialen Dialog investiert werden muss. Auch Kommissarin Marianne Thyssen, zuständig für Beschäftigung, Soziales, Qualifikationen und Arbeitskräftemobilität, hat gesagt, wir brauchen den sozialen Dialog in allen EU-Mitgliedsstaaten. Die Gefahr könnte allerdings darin bestehen, dass versucht wird, die Sozialpartner dazu zu benutzen, die bisherigen Politikvorschläge der EU-Kommission leichter in den Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Die kommenden sechs Monate sind entscheidend. Da werden wir sehen, ob es lediglich heiße Luft war, oder ob etwas Substanzielles zu erwarten ist.

derStandard.at: Sind sich die nationalen Gewerkschaften in den Mitgliedsstaaten einig in ihren Forderungen, oder gibt es auch hier unterschiedliche Auffassungen bei einigen Themen?

Itschert: Wir debattieren intern sehr stark über das Thema Mindestlohn auf EU-Ebene. Es gibt diese Idee, aber dabei kann es sich nicht um eine absolute Zahl handeln, das würde keinen Sinn machen. Aber es gibt viele unterschiedliche Möglichkeiten, die Höhe eines Mindestlohns festzulegen: etwa einen bestimmten Prozentsatz des BIP als Berechnungsgrundlage, auch das jeweilige Medianeinkommen könnte ein Ansatzpunkt sein.

Es gibt zu diesem Thema unterschiedliche Regelungen und Meinungen in den EU-Mitgliedsländern. In einigen gibt es einen Mindestlohn, in anderen nicht. Dann stellt sich auch die Frage: Wer legt ihn fest? Wenn es der Staat sein sollte, könnte das nicht eine Schwächung der Autonomie der Sozialpartner bedeuten. Es gibt auch Befürchtungen, dass sich ein Mindestlohn in eine Art "Maximallohn" entwickelt.

derStandard.at: Was würde das aktuell diskutierte Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA aus gewerkschaftlicher Sicht bedeuten?

Itschert: Wir sind nicht prinzipiell gegen Freihandelsabkommen. Handel kann zum Vorteil aller sein. Aber es müssen strikte soziale Vorkehrungen in dem Abkommen getroffen werden. Es darf kein Weg sein, um das Sozialmodell der EU zurückzubauen. Das wirkliche Problem haben wir als Gewerkschaften mit dem "Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren" (ISDS), das Firmen Klagsrechte einräumt, wenn sie durch staatliche Entscheidungen in ihrer Wirtschaftstätigkeit eingeschränkt werden. So könnten zum Beispiel sozialstaatliche Regelungen ausgehebelt werden. (Michaela Kampl, derStandard.at, 12.3.2015)