"Rocks in my Pockets" (2014) von der in New York lebenden Animationsfilmemacherin Signe Baumane ist eine drei Generationen umspannende Familiengeschichte der erkrankten Psyche.

Foto: Baumane, Tricky Women 2015

Wien - Mit 50 Jahren stirbt Signe Baumanes Großmutter im Schlaf. Die Kinder finden sich mit dem frühen Tod der Mutter ab, diese habe einfach immer nur geschuftet, bis die Kraft nicht mehr gereicht habe. Doch Baumane, in New York lebende lettische Animationsfilmemacherin, fragt nach: War da nicht ein leeres Fläschchen Psychopharmaka am Nachtkästchen? Und wurde Oma Ana nicht zweimal beim Versuch sich zu ertränken aus dem Wasser geholt? Eine Rettung, die nur möglich war, weil Ana nicht daran gedacht hatte, sich ein paar Steine in die Taschen zu stopfen?

Dieses Rätsel eines Todes ist der Ausgangspunkt von Baumanes erstem Langfilm "Rocks in My Pockets", der sich zu einer Familiengeschichte der erkrankten Psyche auswächst. Fünf Frauen der letzten drei Generationen lassen sich nicht nur intellektuelle oder künstlerische Begabungen nachsagen, es vereinen sie auch unterschiedlich ausgeprägte depressive Störungen. Baumane, selbst eine dieser Frauen, lässt die Zuseher mit trockenem Witz bereits zu Beginn an ihrem Wissen über praktische Probleme beim Erhängen (es endet unweigerlich in einer Sauerei) teilhaben und gibt so den Ton für den weiteren Film vor.

Jahrelange Arbeit an Figuren

Lakonisch und ausführlich zugleich breitet die dauerhaft präsente Stimme der Filmemacherin die Seelenwelt ihrer Familie aus, erzählt von unglücklichen Ehen, politischen Umstürzen und der Notwendigkeit, das eigene Gehirn beschäftigt zu halten. Die in jahrelanger Arbeit handgezeichneten Figuren bewegen sich dabei durch eine aus Karton und Pappmaché gebaute Welt, in der sich eine beziehungsunfähige Ehefrau schon einmal in einen Fisch verwandelt und die Nachkommenschaft in Gestalt kulleräugiger DNA-Stränge Fragen nach den Konsequenzen einer Vererbbarkeit psychischer Erkrankungen aufwirft.

Seine Österreichpremiere erlebt "Rocks in My Pockets" nun als einziger abendfüllender Film des Tricky-Women-Festivals, das bis 15. März einmal mehr Animationsfilme von Frauen nach Wien bringt und dabei auch mit seinem Kurzfilmprogramm zeigt, wie gut sich diese Kunstform eignet, Unsichtbares visuell erfahrbar zu machen.

Skurrile Aliens und Wirbelbruch

Neben der sehenswerten Reihe "Animated Documentaries", in der etwa Alienation (Laura Lehmus und Dirk Böll) interviewte Jugendliche ihrer Gefühlslage entsprechend als skurrile Aliens zeigt, widmet sich die Zusammenstellung "Vom Innen und Außen" dezidiert Arbeiten, die sich mit der menschlichen Psyche auseinandersetzen. Das Spektrum reicht von dem Filmgedicht "Swallowed Whole" (Heidi Kumao), das im wahrsten Sinne des Wortes eisige Bilder für die Erfahrung eines Wirbelbruchs findet, bis zu dem vergleichsweise konventionellen, quietschbunten CGI-Abenteuer eines Autisten, "Out of Bounds" (Viktoria Piechowitz).

Auch in anderen Programmschienen, darunter mehrere Länderschwerpunkte und der internationale Wettbewerb, gibt es viel zu entdecken. Wer von Yantong Zhus Kindheitserinnerung "My Milk Cup Cow" nicht zutiefst berührt ist, möge sich zu Strafe eine Runde tüchtig schämen. (Dorian Waller, DER STANDARD, 11.3.2015)