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Eine Neue Mittelschule in Österreich. Nicht schlechtreden, sondern die besten Umsetzungen vorstellen, fordert eine Lehrerin.

FOTO: APA/HERBERT NEUBAUER

Mich wundert’s, dass ich so fröhlich bin als Lehrerin einer Neuen Mittelschule (NMS) mit 40 Dienstjahren. Da wacht man auf und erfährt, dass man in einem Schultyp arbeitet, der – angeblich – laut Evaluierung versagt hat. Die Lektüre von vier verschiedenen Tageszeitungen – "Krone", "Kurier", "Presse", STANDARD – vermittelt als Evaluierungsergebnis: Die NMS-Schüler können nicht mehr als die Hauptschüler, fühlen sich dabei aber wohler. Am Ergebnis sind natürlich die unmotivierten Lehrerinnen und Lehrer schuld. Die finden sich vermehrt ab den dritten Jahrgängen der Einführung der NMS. Blöderweise wurden aber nur die ersten beiden Jahrgänge evaluiert.

Nach der Lektüre der Kurzfassung der Evaluierung – die 400 Seiten schaff ich nicht, weil ich mit der Umsetzung der NMS beschäftigt bin – habe ich etwas klarer gesehen und auch die Einschränkungen zur Kenntnis genommen, die die Evaluierer selber laufend anführen. Die Evaluierung wurde ja von der Einführung der NMS als Regelschule überholt.

Kritik am Teamteaching

Laut Evaluierungsbericht hat sich vor allem das Teamteaching nicht bewährt, kostet aber viel. In allen offiziellen Aussendungen – und natürlich vor allem in den Medien – wird ständig suggeriert, dass in Deutsch, Mathematik und Englisch immer zwei Lehrer in den Klassen stehen. Seit Einführung des Schulversuchs 2008/09 wurden pro Klasse sechs Einheiten mehr zur Verfügung gestellt. In den sogenannten Hauptgegenständen gibt es aber pro Woche in der Regel dreimal vier Einheiten, also insgesamt zwölf Einheiten. Damit können bestenfalls zweimal pro Woche zwei Lehrer in der Klasse stehen. Das ist aber nicht wirklich Teamteaching, sondern bestenfalls ein Assistenzlehrersystem.

Wofür offizielle Ressourcen gar nicht reichen

Mit vielen eigenen Ideen, wie etwa der 45-Minuten-Stunde, die zeitweilig sogar vom Land Niederösterreich verboten wurde – so viel zur Autonomie –, schafften es dann einige NMS tatsächlich, zwölf Stunden zwei Lehrerinnen oder Lehrer in den Hauptgegenständen in den Klassen zu haben. In Niederösterreich wurden zwei Jahre lang weitere sechs Stunden dazugegeben, und so ging sich das sogar offiziell aus. Dann wurde die NMS im Herbst 2012 Regelschule, und die die zusätzlichen Ressourcen waren weg. Das heißt im Klartext: In der Evaluierung hat sich etwas nicht bewährt, was mit den offiziellen Ressourcen überhaupt nicht hätte ausprobiert werden können, durch Einfallsreichtum und Engagement der Kolleginnen und Kollegen aber zwei Jahre lang geklappt hat.

Lehre wie Schuhe?

Eindimensional denkende Analysten haben jetzt gefolgert, sechs Lehrerstunden mehr pro Klasse müssen einen Leistungszuwachs ergeben. Wenn ich 46 Stunden statt 40 Stunden Schuhe erzeuge, habe ich ja auch mehr produziert. Wir Lehrerinnen und Lehrer sind gewissermaßen Wissensproduzenten und haben die Leistung nicht gebracht.

Wäre da noch die Hattie-Studie

Aber hoppla – da war doch noch diese internationale Hattie-Studie, die als wirklich relevanten Faktor für den nachhaltigen Lernerfolg von Kindern die Person des Lehrers beziehungsweise der Lehrerin in den Vordergrund stellt. Die darf aber eben nicht nur Wissensproduzentin sein, sondern muss, um Erfolg zu haben, eine persönliche Beziehung herstellen. Das hat aber mit Schulklima und einem Wohlfühlfaktor zu tun. Die Evangelische Schule in Berlin, geleitet von Margret Rasfeld, hat diese Beziehungskultur zwischen Lehrerinnen, Lehrern und Kindern in den Mittelpunkt ihres Schulmodells gerückt und erzielt bei den in Berlin üblichen Jahrgangstestungen immer Spitzenwerte.

AHS-Unterstufe muss reformiert werden

Bei eben diesen Parametern – Schulklima, Wohlfühlfaktor – schneidet die NMS in der Evaluierung besser ab, im Vergleich mit der AHS sogar um Welten besser. Wenn man sich genau diese Seite des Berichtes anschaut, erkennt man, dass diese Beziehungskultur – laut Hattie-Studie maßgebliche Werte für einen nachhaltigen Lernerfolg – in einer Schulform arg darniederliegt, in die alle drängen, weil sie ein so hohes Niveau hat: die Unterstufe der AHS. Diese Schulform ist so toll und so effizient, dass sie seit Jahrzehnten keinerlei Reformbedarf hat. Die Wahrheit ist aber, dass genau dieser Schultyp eine Schattenschule erzeugt hat: die Nachhilfe.

Schattenschule Nachhilfe

Wir haben also einen öffentlichen Schultyp, den die österreichischen Eltern, die ihre Kinder dorthin schicken, doppelt finanzieren. Mit den Steuern und mit dem freiwilligen Bezahlen von Nachhilfestunden. Trotzdem wollen alle dorthin. Die Kinder werden mithilfe der Nachhilfestunden an die Schule angepasst. Wieso stehen die Eltern nicht auf und verlangen, dass die ohnehin durch Steuergeld finanzierte AHS-Unterstufe endlich reformiert wird, also die Schule an die Kinder angepasst wird?

Diese Reform wäre natürlich durch Einführung der gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen leicht möglich. Geht aber nicht: Niveauverlust!

Ein weiteres Déjà-vu-Erlebnis: Vom Niveauverlust war doch auch bei der Einführung der Zentralmatura die Rede. Gab es da nicht erst kürzlich so eine "Panne" mit zu vielen Fünfern bei einem Probelauf? Ist das Niveau also durch die Zentralmatura gesunken?

Erfolgreicher Schultyp wird schlechtgeredet

Die Hauptschule und ihre Nachfolgerin, die Mittelschule, stellen immer noch 61,7 Prozent der BHS-Maturanten (42,2 Prozent aller Maturanten) Österreichs. Trotzdem wird dieser vor allem in ländlichen Gebieten immer schon erfolgreiche Schultyp seit Jahren schlechtgeredet und ständig reformiert. Der Schultyp, der dringendst der Reform bedarf, wird dagegen als Hort der Bildung von Eltern freiwillig doppelt finanziert.

Best Practice vorstellen!

Es gibt genug Best-Practice-Beispiele für eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Wie wäre es mit einer Medienkampagne, wo genau solche Beispiele vorgestellt werden? Das könnte eine tolle Sache für die Zukunft unserer Kinder sein und zu einer fundierten Meinungsbildung beitragen. Weil ich an eine Reform glaube, wundert’s mich doch nicht, dass ich so fröhlich bin, ich werde jeden Werktag in meine NMS gehen und mit den Kindern arbeiten. (Rosa Mohrenberger, derStandard.at, 10.3.2015)