Auf erste kleine Ausfälle folgt eine schockierende Diagnose: Julianne Moore als an Alzheimer erkrankte New Yorker Sprachwissenschaftsprofessorin im Drama "Still Alice".

Foto: Filmladen

Wien - Die Sprachwissenschafterin Alice Howland gilt in ihrem Fach als Koryphäe. Die New Yorker Professorin hat ein Standardwerk über den Spracherwerb verfasst. Als sie während eines Vortrags vor einem Fachkollegium plötzlich einen Hänger hat, ist die aufgeräumte Akademikerin, die erst kürzlich ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hat, kurz irritiert.

So richtig Sorgen macht sie sich aber erst, als sie bei einer ihrer ausgedehnten Joggingrunden plötzlich nicht mehr weiß, wo sie sich befindet: Der Raum um sie verschwimmt auch für die Zuschauer, der Ton wird ausgeblendet. Als sich die Lage buchstäblich aufklart, befindet sich Alice auf dem Gelände der Columbia University, ihrem Arbeitsplatz.

Alice, die mit einem Mediziner verheiratet ist und mit ihm drei erwachsene Kinder hat, lässt sich also untersuchen. Ihre Angehörigen erfahren davon vorerst nichts - wie Alice im Alleingang vorgeht, das charakterisiert auch gleich ihre Person: Sie ist unabhängig und pragmatisch im Zugang. Erst als ihr Neurologe sie bei einem Folgetermin damit konfrontiert, dass bei ihr eine seltene, jüngere Patienten betreffende Form von Alzheimer vorliegt, begreift sie, dass sie dieses Problem nicht allein lösen kann.

Julianne Moore verkörpert diese sehr organisierte, weltgewandte Frau und ihre ersten kleinen Ausfälle, die zunehmenden Manifestationen ihrer Krankheit und die wachsende Verzweiflung, Stimmungsschwankungen und Apathie souverän und eindringlich. Für diese Leistung hat die US-Schauspielerin kürzlich neben anderen Filmpreisen auch ihren ersten Oscar erhalten. Allerdings hätte man ihr die Auszeichnung für einen insgesamt überzeugenderen und interessanteren Film gewünscht, David Cronenbergs Maps to The Stars etwa.

Die Erzählung von Still Alice fällt hinter die Figur nämlich weit zurück. Das familiäre Umfeld ist schematisch gezeichnet. Vor allem ihre beiden Töchter, die strenge, leistungsorientierte Anna (Kate Bosworth) und die chaotische Jungschauspielerin Lydia (Kristen Stewart), die bei Lebensentscheidungen lieber aufs Gefühl vertraut, wirken in dieser betonten Gegensätzlichkeit arg herbeigeschrieben. Bezugspersonen außerhalb der Kleinfamilie (Freundinnen, Freunde?!) scheint es nicht zu geben, Alice' Vorgesetzter an der Universität hat einen funktionalen Kurzauftritt.

Inszeniert (und geschrieben) haben den Film Richard Glatzer und Wash Westmoreland. Das Duo zeichnete unter anderem 2006 für das sympathische Teenagerdrama Quinceañera verantwortlich, das auch in österreichischen Kinos lief. Im Genre des "Problemfilms" verlassen sie sich letztlich vor allem aufs Bedienen der Gefühlsklaviatur, und ohne Taschentuchvorrat sollte man sich diesem Film nicht aussetzen.

Die Chance auf eine nuancierte Filmerzählung zum zweifellos relevanten Themenkomplex von Gedächtnisverlust, Hinfälligkeit, Pflegebedürftigkeit wurde hier vergeigt. Man kann sich aber mit geglückten dokumentarischen Arbeiten wie Marion Kainz' Der Tag, der in der Handtasche verschwand (2000) mehr als behelfen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 10.3.2015)