St. Johann/Tirol – In Zeiten, da die einprasselnde Informationsflut sinkende Aufmerksamkeitsspannen zeitigt, stehen Kürze und Kompaktheit hoch im Kurs. Wie weit also kann man Reduktion im Hinblick auf Konzerte treiben? Das "Soundcabs"-Projekt der "Artacts" beantwortete die Frage in Gestalt einer zwei Mal drei Meter schmalen Holzhütte, die da auf dem Marktplatz von St. Johann in Tirol stand, direkt vor dem mächtigen Postamt. Sie bot Platz für einen Musiker und zwei bis drei Zuhörende, welche einander exakt drei Minuten lang sahen.

Im Falle von Susanna Gartmayer bedeutete dies ein Alternieren von fragilem Melos und hochenergetischen Schreien, wobei die Bassklarinettistin auch die Schallreflexion der Holzwände als Gestaltungsmittel nutzte. Schwieg das Instrument, träufelten von außen die Gespräche und Geräusche des Marktplatzes in die kleine Kabinen-Welt herein. Diesem Erlebnis hätte man sich liebend gerne länger ausgesetzt!

Das Jubiläum

Die "Artacts" im Ski-Ort St. Johann, zwischen Wildem Kaiser und Kitzbüheler Horn gelegen, feierten ihre 15. Auflage: Grund genug für das Team um Hans Oberlechner, sich einige Programm-Schmankerl zu überlegen, um auf diese Weise auch Brücken zur Einwohnerschaft der Marktgemeinde zu bauen, an deren touristischer Eigenvermarktung man sich in der Vergangenheit immer wieder gerieben hat.

Ein paar Schritte von den "Soundcabs" entfernt, in der Pfarrkirche, war die Uraufführung von "Escapes. Für alle die nicht flüchten können" zu hören, komponiert von Maja Osojnik, ausgeführt von der Bundesmusikkapelle St. Johann in Tirol unter Hermann Ortner. Der unklare thematische Bezug war ob des starken Eindrucks, den das gut 40-minütige Stück hinterließ, sekundär: Die Musik begann mit einem von Schwebungen durchsetzten Klangband der Klarinetten, erweiterte sich mit den durch den Raum wandernden MusikerInnen zu einem faszinierenden, farbigem Sound-Fluidum, in das sich das Publikum wie in einen Mutterbauch wohlig eingehüllt fühlte.

Der akustische Überfall

Auch das "reguläre" Programm in der Alten Gerberei hatte Spannendes zu bieten: Da war der Soundelektroniker Tomi Keranen, der das Festival überfallsartig, mit trommelfeuerartigen Impulsen und Sirenen eröffnete, um am Ende des Stücks seine Quellen offen zu legen (plötzlich tönte eine virtuelle Jazzband aus dem Computer). Da war Altsaxofonistin Julie Kjær, deren expressive Linien sich funkensprühend an der abstrakten Gitarre von Ketil Gutvik und den Bassklängen von Jon Rune Strøm rieben.

Da war das Trio Now! mit Saxofonistin Tanja Feichtmair, Cellist Uli Winter und Schlagzeuger Fredi Pröll, das flüchtige Soundsplitter zu Gestalten von hochenergetischer Kompaktheit verdichtete. Und da war der weiterhin über bewundernswerte Lungenkräfte verfügende Peter Brötzmann: Dabei demonstrierte der 74-jährige Saxofonist im Verein mit Posaunist Steve Swell und Schlagzeuger Paal Nilssen-Love erneut, dass er längst zu einem Mann der Zwischentöne geworden ist, der nach kollektiven Klanggewittern auch beseelte melodische Linien zu ziselieren weiß. (Andreas Felber, DER STANDARD, 10.3.2015)