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Straßenszene an jener Haltestelle in Neu-Delhi, an der das Opfer der brutalen Gruppenvergewaltigung von 2012 in den Bus eingestiegen ist.

Foto: AP Photo/Altaf Qadri

Leipzig / Neu-Delhi / Wien - Sie habe viel über das "Vergewaltigungsproblem" in Indien gehört und könne eine solche Haltung nicht unterstützen, zumal sie viele Studentinnen betreue, schreibt eine Professorin der Universität Leipzig. Die Erklärung ist Teil einer Absage, die ein indischer Student per Mail auf seine Praktikumsbewerbung erhalten hatte. "Sehr geehrter Herr", schrieb Annette Beck-Sickinger laut einem am Wochenende auf quora.com veröffentlichten Screenshot, "leider akzeptiere ich keine männlichen indischen Studenten als Praktikanten."

Der Student hielt der Biochemie-Professorin entgegen, dass es sich dabei um eine grobe Verallgemeinerung handle. Die 54-Jährige stimmte dem Vorwurf des Bewerbers zu, rechtfertigte ihre Absage aber damit, dass dies ihre einzige Möglichkeit sei, "hier in Europa" Konsequenzen zu ziehen.

"Aus dem Zusammenhang gerissen"

Vergewaltigungen und vor allem "multi-rape crimes" seien ein gesellschaftliches Problem in Indien, schreibt die Chemikerin in ihrer Antwort. Entsprechende Berichte, die Deutschland in wöchentlicher Regelmäßigkeit erreichen, würden die wahre Einstellung der indischen Gesellschaft gegenüber Frauen wiedergeben und auch andere deutsche Professorinnen dazu bewogen haben, männlichen Indern abzusagen.

Beck-Sickinger bestätigte die grundsätzliche Echtheit der E-Mail-Konversation gegenüber "Huffington Post India": "Ich entschuldige mich, wenn das zu Missverständnissen geführt hat, aber die E-Mail ist aus dem Zusammenhang gerissen." Der Hinweis, dass es in ihrem Labor keine Plätze gibt, habe zu einer unangenehmen Diskussion geführt, die ihren Aussagen vorangegangen sei.

Zudem seien die Passagen in den veröffentlichten Mails zusammengestückelt worden, schreibt die Professorin in einer Aussendung der Universität Leipzig. Sie räumt aber ein, "einen Fehler gemacht zu haben". Natürlich habe sie nichts gegen männliche Inder, sie habe in der Vergangenheit mehrfach indische Studenten angenommen, und auch derzeit befinden sich vier Studierende aus Indien in ihrem internationalen Master-Programm.

"Indien ist kein Land der Vergewaltiger"

In einem deutlich artikulierten Brief weist der deutsche Botschafter in Indien, Michael Steiner, Beck-Sickingers Aussagen zurück: "Ich fordere Sie auf, mehr über das vielfältige, dynamische und faszinierende Land und die vielen gastfreundlichen und aufgeschlossenen Menschen in Indien zu lernen, damit Sie Ihr simplifizierendes Bild, das meiner Meinung nach einer Professorin und Lehrerin unwürdig ist, korrigieren können."

In dem Schreiben, das der Botschafter am Montag auch auf Twitter als "Meine Antwort auf eine unfaire Verurteilung" veröffentlichte, erklärt Steiner Vergewaltigungen zu einem weltweiten Problem, von dem nicht nur Indien, sondern auch Deutschland betroffen ist. "Um es klar zu sagen: Indien ist kein Land von Vergewaltigern."

Vor allem die auch in den westlichen Medien ausführlich behandelte Gruppenvergewaltigung von 2012, an deren Folgen eine 23-Jährige starb, habe in Indien zu einer wichtigen Debatte geführt – "einer Debatte, die in dieser Qualität in vielen anderen Ländern gar nicht möglich wäre", so Steiner. (mcmt, derStandard.at, 9.3.2015)