Helfen Verbote, wenn Alkohol, Nikotin oder Videopoker zur Sucht werden? Stark Abhängigen nicht mehr, Jugendlichen oder Erwachsenen im Rahmen eines präventiven Verbraucherschutzes hingegen schon, so Suchtforscher Gerhard Bühringer von der TU Dresden.
Am Internationalen Suchtsymposium am Grundlsee warne er vor gesamtgesellschaftlichen Kollateralschäden durch Prohibition, empfahl aber umfassende Schutzmaßnahmen im Rahmen des Verbraucherschutzes. Bei der von Suchtexpertin Gabriele Fischer (MedUni Wien) organisierten Tagung standen medizinische, psychologische, psychosoziale und juristische Aspekte zum Thema Sucht auf dem Programm.
Hohes Risiko für Sucht
"Natürlich liegen prohibitive Regelungen bei Suchtstoffen nahe, wenn man bedenkt, dass selbst der mäßige Konsum von psychotropen Substanzen wie etwa alkoholischen Getränken zu Erkrankungen, Missbrauch oder Abhängigkeit führen kann", so Bühringer.
Bei Nikotin beträgt das Risiko für regelmäßige Konsumenten, eine Substanzstörung zu entwickeln, beispielsweise 32 Prozent, bei Heroin 23 Prozent, bei Alkohol 15 Prozent, bei Cannabis neun Prozent. Auch lassen sich die positiven Effekte von Verboten nicht von der Hand weisen, zumindest auf Gesundheitsebene.
Erforderlich sei jedoch, stets die gesamtgesellschaftliche Wirkung und Akzeptanz von Verboten sowie die positiven Wirkungen des Konsums für den Einzelnen im Auge zu behalten, etwa Entspannung oder soziale Kontakte. In vielen europäischen Staaten wurde etwa in den letzten Jahren versucht, den Tabakkonsum durch eine zunehmende Einschränkung der Situationen zum Rauchen, Erhöhung der Zigarettenpreise und verstärkte Jugendschutzmaßnahmen einzudämmen.
Nichtraucher-Maßnahmen wirken
Erfreulich ist, dass dadurch tatsächlich die Zahl der Raucher zurückgeht, auch bei jungen Personen, und tabakassoziierte Schädigungen abnehmen. Auf einem anderen Blatt steht allerdings, dass dadurch in einigen Staaten beziehungsweise Grenzregionen der Schmuggel an Bedeutung gewann und wahrscheinlich die starken Raucher unbeeinflusst bleiben.
Vergleichbare Erfahrungen gebe es auch mit der Regulierung von alkoholischen Getränken und Glückspielen. Verstärkte vollständige oder situative Verbote (partielle Prohibition) und erhöhte Preise können für Jugendliche bezüglich Konsumbeginn präventiv wirken, Konsumsteigerung und Problementwicklung bei Erwachsenen entgegenwirken und motivierten Abhängigen eine Reduktion oder Beendigung erleichtern.
Voraussetzungen sind, dass eine gewisse Einsicht in der betroffenen Bevölkerung besteht, die Regeln deutlich und die Sanktionen hochwahrscheinlich sowie bedeutsam sind. "Schwer Abhängigen mit fehlender Motivation helfen Verbote nicht, ihre Abhängigkeit in den Griff zu bekommen. Sie werden trotzdem versuchen, ihre Sucht zu befriedigen und machen sich damit zwangsläufig vor dem Gesetz schuldig", sagt Bühringer.
Wann Verbote funktionieren
"Die Zeiten vollständiger Prohibition sind vorbei", meint der Experten. Verbote müssten in einem demokratischen Rechtsstaat ausreichend begründet werden und subjektiv nachvollziehbar sein, schließlich schränken Verbote die Freiheit des Einzelnen erheblich ein. Außerdem müsse es für prohibitive Maßnahmen eine hohe soziale Akzeptanz geben und sie müssen effektiv kontrolliert und Verstöße sanktioniert werden, so der Experte.
So wird ein Verbot von Trunkenheit am Steuer den meisten einleuchten, weil schwer alkoholisierte Autofahrer nicht nur sich, sondern auch andere massiv gefährden. Anders dagegen beim Glückspiel: Das Risiko, dass Glücksspieler eine Abhängigkeit entwickeln, liegt bei etwa einem Prozent, auch wenn die absolute Zahl hoch ist, da ein erheblicher Teil der Bevölkerung sich an Glücksspielen beteiligt.
Hier werde es sehr schwierig sein, die Bevölkerung zu überzeugen, dass zum Schutz der Spieler eine vollständige oder weitgehende Prohibition notwendig ist. "Prohibitive Maßnahmen müssen sich in einem solchen Fall auf die Zielgruppen und Maßnahmen beschränken, bei denen das objektive Risiko erhöht ist", sagt Bühringer. Das gelte beim Glücksspiel zum Beispiel für Jugendliche, junge männliche Erwachsene, Migranten oder fü Teilnehmer an hochriskanten illegalen Glücksspiele von dubiosen Anbietern.
Schutz besonders Gefährdeter
Sinnvoll erscheint dem Suchtexperten, Prohibition als eine der möglichen strukturellen Maßnahmen im Rahmen des Verbraucherschutzes einzuordnen, zum Beispiel beim Schutz Jugendlicher. Dabei geht es in der Regel um ein vollständiges oder partielles Verbot, zum Beispiel im Hinblick auf bestimmte Substanzen oder ein Mindestalter.
Außerdem zielt der Verbraucherschutz auf den risikoarmen Konsum Erwachsener. Dabei sollen die Risiken für die Konsumierenden selbst oder für Dritte möglichst gering gehalten werden. Für Alkohol bedeutet das etwa, dass bestimmte tägliche Alkoholgrenzen nicht überschritten werden, kein hoher Konsum in kurzer Zeit erfolgt und in bestimmten Situationen absolute Abstinenz beachtet wird, zum Beispiel am Arbeitsplatz, beim Sport oder während der Schwangerschaft.
"Vollständige oder partielle Prohibition wie zum Beispiel kein oder sehr geringer Alkohol im Straßenverkehr sind hier durchaus wirksam, allerdings hängt es von der Durchsetzungsstärke des Gesetzgebers und der Exekutive ab", sagt Bühringer. Wichtig sei insbesondere, inwieweit Sanktionen wie Geldbußen oder Führerscheinentzug spürbar sind und ob diese mit hoher Wahrscheinlichkeit eintreten. Damit die Bevölkerung Verständnis für diese prohibitiven Maßnahmen hat, seien zusätzlich Informationen und Aufklärung über das riskante Verhalten wichtig.
Unterstützendes Umfeld
Bedeutsam ist eine vollständige oder partielle Prohibition dann, wenn versucht werden soll, Personen mit akuten Problemen und Störungen am Konsum zu hindern. Faktisch sind aber solche prohibitive Maßnahmen schwer umzusetzen. "Hier hilft weniger ein Verbot, als ein unterstützendes soziales Umfeld, das Suchtbetroffene nicht in Versuchung führt und sie davor schützt, rückfällig zu werden", so Bühringer.
Beim Glücksspiel helfen auch technische Regelungen, zum Beispiel Selbst- oder in extremen Fällen Fremdsperren, außerdem tägliche Zeit- oder Geldmengenbegrenzungen. Bühringer begrüßt, dass inzwischen vermehrt versucht wird, Personen mit riskanten Konsummustern frühzeitig zu erkennen.
Etwa im Rahmen einer medizinischen Untersuchung, am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr: "Früher wurde oft mit einer Therapie gewartet, bis jemand eine schwere Abhängigkeit entwickelt hat. Dabei hilft Früherkennung, negative Folgen zu vermeiden. Und sie erleichtert den Behandlungserfolg." (red, derStandard.at, 9.3.2015)