Geldnot und Sparprogramme allenthalben, wachsende soziale Not in vielen Mitgliedsländern, eine trotz leidlich funktionierender Waffenruhe weiterhin mögliche Eskalation im Ukraine-Konflikt: Und da fällt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nichts Besseres ein, als laut über eine gemeinsame europäische Armee nachzudenken? Die Frage drängt sich auf - und ist dennoch falsch gestellt.

Juncker selbst begründet seinen Vorstoß mehrfach: ein Signal an Putin-Russland (und andere potenzielle Störenfriede), dass die EU es ernst nimmt mit der Verteidigung ihrer Werte; ein Symbol dafür, dass es zwischen EU-Ländern nie Krieg geben wird; und nicht zuletzt Einsparungen in den nationalen Verteidigungsbudgets durch Bündelung der Kräfte und Zusammenarbeit bei Entwicklung und Kauf von militärischem Gerät.

Der Vorschlag ist ja alles andere als neu. Zuletzt sprach sich 2009 das Europaparlament für eine "integrierte europäische Streitmacht" von 60.000 Soldaten aus, die jederzeit für EU-Einsätze bereitstehen solle. Ausbildung und Ausrüstung der nationalen Streitkräfte müssten entsprechend angeglichen werden.

Als harten Kern dieser Truppe schlug das Parlament das Eurokorps vor. Dieses ging aus der Deutsch-Französischen Brigade hervor und wurde 1993 offiziell etabliert. Teilnehmende Länder sind neben Deutschland und Frankreich Belgien, Spanien und Luxemburg. 2016 kommt Polen als sechster vollwertiger Partner hinzu. Neben anderen Staaten entsandte auch Österreich, von 2003 bis 2011, Personal in das Straßburger Hauptquartier. Das Eurokorps war in führender Rolle an den Friedenseinsätzen im Kosovo und in Afghanistan beteiligt.

Das Eurokorps zu einer echten EU-Armee auszubauen, dazu fehlte es bisher an politischem Willen. Aber gerade die tiefe innere Krise der Europäischen Union und die Strategiedebatte im Ukraine-Konflikt machen den Wert einer gemeinsamen Verteidigungsinstitution klar. Dabei geht es in erster Linie gar nicht um den vordergründigen militärischen Nutzen. Dass eine EU-Armee in den Ukraine-Konflikt eingreifen würde, wäre nur im eindeutigen Verteidigungsfall vorstellbar - wenn ein Mitgliedsland konkret bedroht wäre. Aber sie würde das subjektive Sicherheitsgefühl der Grenzstaaten und zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl in der gesamten Union stärken: das Empfinden einer Werte- und Solidargemeinschaft.

Voraussetzung dafür ist ein umfassender Sicherheitsbegriff, der weit über das Militärische hinausreicht und die Zivilgesellschaft stark miteinbezieht. Es wäre eine höchst lohnende Aufgabe, auf dieser Basis eine gesamteuropäische Militärakademie zu gründen, die dann natürlich nicht so heißen würde. Sie könnte und sollte Dependancen in allen Mitgliedsstaaten haben und zu einer europäischen Kaderschmiede im besten Sinn des Wortes werden: einer Ausbildungsstätte ganzheitlich denkender, hochmotivierter europäischer Eliten.

Mit solchem Führungspersonal wäre eine gesamteuropäische Armee ein doppeltes Signal: dafür, dass auch die "sanfte Macht" EU zur militärischen Krisenintervention entschlossen ist, wenn es um ihre Substanz und die Verteidigung zentraler Werte geht; und dafür, dass aber auch ein scheinbar sicherer Frieden nur gemeinsam gewährleistet werden kann - und täglich aufs Neue erarbeitet werden muss. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 9.3.2015)