Barbara Horvath und Franziska Hackl (re.) in Anne Habermehls "Das Gemeindekind" im Schauspielhaus.

Foto: Alexi Pelekanos

Wien - In Marie von Ebner-Eschenbach haben Kinder und Jugendliche des 19. Jahrhunderts eine frühe schriftstellerische Patin gefunden. Ihre Novelle Das Gemeindekind (1887) vermisst das Unverständnis und die Achtlosigkeit, die die Erwachsenenwelt einem elternlos gewordenen 15-Jährigen entgegenbringt. Vater: exekutiert, Mutter: im Gefängnis.

Anne Habermehl, in der Spielzeit 2013/14 Hausautorin am Schauspielhaus Wien, hat ebenda Motive des Prosawerkes aufgegriffen und zu einem meisterhaften Libretto verdichtet. Dieses trägt den Beat der Jetztzeit in sich, der in schmalen Sätzen die Welt des Kindes aufeinandertürmt; die sparsam eingesetzten Worte haben Gravität und Glanz und leuchten in ihrer archaischen Wucht.

Dem Ganzen gibt Komponist Gerald Resch einen irisierenden Sound, der so klingt, als würden die spitzen Klänge von Kurt Weill auf den Low-tech-Sprechgesang nonchalanter Clubmusik treffen. Auf diesem schmalen Grat wandeln die Schauspieler, sprechend und singend, in steter Nähe zu den Musikern des Ensembles Phace (musikalische Leitung: Mathilde Hoursiangou).

Irgendwann kommt das Kind auf dem Rindenmulch des Dorfes zu liegen (Bühne: Vincent Mesnaritsch). Die zweifelhafte Fürsorge der Nachbarn ist ihm keine Hilfe. Niemand sieht und interessiert sich dafür, was Pavel (Thiemo Strutzenberger) will und braucht. Strutzenberger und Franziska Hackl (als Tochter der Pflegemutter) gelingen dabei bestürzende Konfrontationen, in denen jede versuchte Nähe unversehens in verrohte Herzlichkeit kippt.

Rudolf Freys Inszenierung gewinnt durch ihren Purismus, ihren Rückzug aus den Bildern, ihre Erschließung von Räumen und Strukturen zwischenmenschlicher Mechanismen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 7.3.2015)