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Unter den langfristig Abgängigen sind besonders häufig unentdeckte Unfallopfer auf Bergen und Seen.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Wien – Wenn jemand als abgängig gemeldet wird, kann das viele Gründe haben. Jugendliche Ausreißer sind darunter und erwachsene Aussteiger, Fälle von Kindesentziehungen durch nicht obsorgeberechtigte Elternteile und Opfer von Unfällen, Suiziden oder Verbrechen.

Das breite Spektrum fordert die Beamten im Kompetenzzentrum für abgängige Personen (KAP) täglich heraus. Nach einjähriger Testphase steht die dem Bundeskriminalamt (BK) angegliederte Stelle seit Ende 2014 im Echtbetrieb und befasst sich seither zentral mit allen Angelegenheiten, die umgangsprachlich als "Vermisstenfälle" firmieren.

Koordination der beteiligten Einrichtungen

Das KAP übernimmt dabei neben der Öffentlichkeitsarbeit und der Angehörigenbetreuung vor allem die Koordination der beteiligten Behörden und Organisationen – ermittelnde Polizeiinspektionen und Landeskriminalämter, Gerichte und Staatsanswälte, Jugendwohlfahrt und Hilfsinstitutionen wie Berg- oder Wasserrettung.

Zum Teil geschieht das auch auf internationaler Ebene. Denn jede in Österreich erstattete Anzeige erreicht sofort auch die Fahnder in 27 EU-Staaten. In solchen Fällen prüft das KAP auch die divergierenden nationalen Rechtslagen.

Daneben zählt die Präventivarbeit zu den Kernaufgaben des KAP. In zwei Pilotprojekten in Linz und Bad Ischl wurden Beamte in Erziehungsheime geschickt, um Heimleitung und Jugendliche über den Aufwand zu informieren, der hinter einer Abgängigkeitsanzeige steckt. Denn unter den Vermissten sind oft Jugendliche, die aus Heimen ausreißen und meist recht rasch wieder zurückkehren – eine junge Person wurde 2014 ganze 61 Mal als abgängig gemeldet.

96 Prozent nach einem Jahr wiederaufgetaucht

Das ist eine der Erkenntnisse, die die Statistikauswertung des KAP im Vorjahr ergab. 2014 wurden in Österreich insgesamt 7.705 Abgängigkeitsanzeigen erstattet und in der Datenbank erfasst. Nur ein Drittel dieser Anzeigen betraf eine erstmalig als vermisst gemeldete Person.

Bei den Wiederaufgetauchten können die Vorjahreszahlen laut KAP-Leiter Stefan Mayer als genereller Richtwert verstanden werden: Nach einer Woche sind 80 Prozent der Anzeigen widerrufen, nach einem Monat 90 Prozent und nach einem Jahr 96 Prozent. Nur drei Prozent der Fälle gelten noch nach zehn Jahren als ungeklärt.

Besonders oft sind das unentdeckte Unfallopfer in den Bergen und Seen – allein der Bodensee dürfte seit 1945 rund hundert Menschen nicht wieder freigegeben haben. Verbrechen dagegen sind relativ selten Ursache für das Verschwinden: In 22 offenen Fällen deuten die Umstände auf Straftaten hin.

Virtuelles Altern

Zum Stichtag 5. März waren in Österreich 824 Menschen abgängig; auch von ihnen werden die meisten laut Mayer bald wiederauftauchen. Unter den derzeit Vermissten ist der Männeranteil mit 69 Prozent signifikant erhöht. 45 Prozent der Abgängigen sind jünger als 18 Jahre und 18 Prozent sind jünger als 14 Jahre. In 44 Fällen handelte es sich um Kindesentziehungen, wobei der am längsten zurückliegende Fall einen Obsorgestreit aus dem Jahr 2003 betrifft.

In solchen Angelegenheiten stellen die KAP-Beamten den Ermittlern nach der sogenannten Aging-Methodik erstellte Fahndungsbilder zur Verfügung. Mit spezieller Bildbearbeitungssoftware können sie die vermissten Kinder virtuell altern lassen – das Ergebnis kommt laut Mayer ihrem aktuellen Aussehn verblüffend nahe.

Eine immer wieder gern zitierte Frist bei Abgängigkeitsanzeigen gibt es übrigens nicht. "Dass eine Person 24 Stunden vermisst sein muss, gibt es nur in amerikanischen Krimis", sagt Regine Wieselthaler-Buchmann vom BK, "aber dass das auch in Österreich gilt, ist ein Ammenmärchen". (Michael Matzenberger, derStandard.at, 6.3.2015)