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Eine Hiobsfigur, die gegen die Willkür der russischen Nomenklatura rebelliert: Nikolai (Alexei Serebrjakow) in Andrej Swjaginzews kraftvollem Filmdrama "Leviathan".

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Der russische Filmregisseur Andrej Swjaginzew: "Ich habe noch nie gewählt."

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Wien/Riga - Dies sei ein Horrorfilm, sagt der Anwalt: "Und Sie sind darin der Hauptdarsteller." Ein Einschüchterungsversuch: In der Mappe stapeln sich Dokumente, die alle Verfehlungen des Bürgermeisters festhalten. Der Anwalt kommt damit aus Moskau angereist; der Bürgermeister ist der feiste Oligarch einer abgelegenen Gemeinde an der Barentssee. Was es abzuwehren gilt, ist dessen Zugriff auf das Grundstück von Nikolaj (Alexei Serebrjakow), dem unnachgiebigen Helden aus Leviathan. Er hat schon immer hier gewohnt, mehr als das karge Heim am Meer hat er nicht vorzuweisen.

Der Film des russischen Regisseurs Andrej Swjaginzew beginnt wie eine Geschichte zivilen Widerstands. Doch Aufbegehren ist im gegenwärtigen Russland keine leichte Übung. Das Netz der wechselseitigen Begünstigungen, das sich durch alle Ebenen der Gesellschaft zieht, läuft in den Händen einer autoritären Obrigkeit zusammen. Und die Gegenseite hat kein rechtes Fundament. Unwirsch demonstriert man zwar seinen Unwillen. Doch schnell treten Bruchstellen auf. Den Rest erledigt der Wodka, der wie Wasser die Kehlen hinunterfließt.

Der 51-jährige Swjaginzew entwirft in seinem vierten Spielfilm ein in seinem Furor ganz unmissverständliches Planspiel der Machtverhältnisse seiner Heimat. Recht und Gerechtigkeit werden von ein paar wenigen nach Interessenlagen gebeugt, und die orthodoxe Kirche, die sich ihren Anteil am Kuchen sichert, liefert die moralische Absolution dafür. Die schroffen Landschaften, in farbentsättigten Breitwandbildern arrangiert, spiegeln die Verlorenheit der Menschen wider. Doch es bleibt kraftvoll, nicht ätherisch inszeniert: Swjaginzew betont das Derbe, Schroffe - mitunter gerät er nahe an kulturelle Archetypen.

In seiner Schwermut, seinem Fatalismus wirkt der Film sehr russisch, dabei kam die Ausgangsidee von einem US-Wutbürger aus Colorado, der am Ende eines Rechtsstreits mit einem Bulldozer das Gemeindeamt niederfuhr: "Die Geschichte dieses Mannes hat etwas sehr Universelles", erzählte Swjaginzew dem Standard beim Europäischen Filmpreis im Dezember in Riga. "Wir haben uns aber auch an Michael Kohlhaas von Kleist orientiert - diesem Kerl, der gegen die Willkür der Oberen antritt. Nach einigen Drehbuchentwürfen kamen wir aber ins Stocken. Die Idee des Freiheitskampfes hat mit der russischen Realität nicht harmoniert. Wir sind ab einem bestimmten Punkt nicht bereit, bis zum Äußersten zu gehen."

Erst durch diese Abweichung sei aus Leviathan ein russischer Film geworden, so Swjaginzew ganz unironisch. Desillusioniert äußert er sich auch über die politische Gegenwart seines Landes. Er habe etwa noch nie in seinem Leben an Wahlen teilgenommen. "Ich bin davon überzeugt, dass es ein völlig nutzloses Vorgehen wäre, das an unserem System nichts ändern würde." Die Ursachen für diese Verdrossenheit sieht der Regisseur in historischen Abläufen, die wenig an den Strukturen verändert hätten. Die Idee eines Gesetzes, das allen Bürgern gleiche Rechte zugesteht - die Kernfrage von Leviathan -, würde in Russland kaum noch diskutiert.

Bestätigt wird Swjaginzew in diesen Ansichten auch durch den Umgang der russischen Behörden mit seinem Film. Seit der Premiere in Cannes, wo er für das beste Drehbuch prämiert wurde, hat Leviathan etliche Preise gewonnen - für den Kulturminister Wladimir Medinsky ist dies vor allem ein Beleg für die antirussische Agenda des Films. Dass er dennoch für den Oscar als bester russischer Film nominiert werden konnte, liegt daran, dass man das Auswahlgremium vergrößert hat - die Einflussnahme wurde erschwert.

Fragliche Kinozukunft

Wie lange jedoch Filme wie Leviathan in Russland noch produziert werden - und in die Kinos gelangen -, vermögen wenige zu beantworten. Medinsky nutzte den Filmstart Anfang Februar, um ein Gesetz in Aussicht zu stellen, das gegen Filme vorzugehen erlaubt, die "die nationale Einheit" gefährden. "Lasst die Blumen wachsen - wir werden jedoch nur jenen Wasser geben, die wir auch mögen", sagte der Kulturminister über die Zukunft seiner Förderpolitik.

Leviathan äußert sich nicht ausdrücklich zu Putin, doch er zeigt, wie tief die Gräben in der Gesellschaft sind. Einmal geht es zum Schießen ins Freie, als Zielscheiben dienen Porträts von KP-Chefs. "Hast du nichts Aktuelleres", fragt da Nikolai. "Nein, dafür ist es noch zu früh - da mangelt es noch an historischer Schärfe." (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 6.3.2015)