Am Sonntag ging im Wiener Prater die achte Auflage von "Laufen hilft" über die Hauptallee (und ein paar Seitenwege)

Mehr als 3.500 Läuferinnen und Läufer liefen 5, 10 oder 21 Kilometer - oder "walkten" nordisch. "Saisoneröffnung" nennen die Macher des sympathischen Volkslaufs, der heuer 15.000 Euro für die St.-Anna-Kinderkrebshilfe und das Neunerhaus einspielte, ihre Veranstaltung. Und obwohl es natürlich auch davor etliche Laufevents gibt, traf das für mich heuer zu mehr als 100 Prozent zu.

Natürlich freue ich mich. Dezent formuliert. Und: Ich würde mich genauso freuen, wenn meine Zeit ganz anders ausgesehen hätte. Ein 4:44er-Schnitt ist zwar nicht schlecht, aber auch nichts Besonderes. Für einen Hobbyläufer. In meinem Alter. Auf zehn Kilometer.

Eine solide Zeit, auch wenn all meine Freunde deutlich schneller waren. Aber trotzdem freue ich mich. Und hätte das auch über eine weit schlechtere Zeit als 47-irgendwas getan: Weil ich mit "DNF" gerechnet hatte. "DNF" steht für "did not finish".

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"Mach einen Testlauf draus" hatte die Trainerin gesagt, "und dann sehen wir weiter." Nicht Wochen, sondern Monate vorher. Und dabei hatte Sandrina Illes mehr als skeptisch geklungen. Denn die lange schlummernde Achilessehnenentzündung, die pünktlich zum New York Marathon (im November) akut geworden war, hatte mich danach so richtig ausgeknockt.

Wochenlang wollte ich ans Laufen nicht einmal denken. Und die Ausweich- und Vermeidungsbewegungen, die schon beim Gehen automatisch kamen, ließen Kleinst-Wehwehchen von vor 100 Jahren plötzlich wieder aufpoppen - und bleiben: Man kann sich auch auf die harte Tour eingestehen müssen, dass man keine 22 mehr ist. Auch wenn ich mit 22 körperlich weit schlechter beinand war, als heute.

Egal: Jetzt ist jetzt - und was ich seit Jänner da (nicht) zusammenbrachte, ließ Sandrina die Stirn in Falten legen: "Wir sollten vielleicht nochmal über deine Ziele für dieses Jahr reden." Autsch.

Foto: Thomas Rottenberg

Dabei steht auf der Liste eh kaum was Größeres drauf: Der Vienna City Marathon halt. Weil mich dieser vermaledeite VCM schon dreimal "abgeworfen" hat: Einmal war ich krank, einmal "erblödelte" ich mir einen Muskelriss - und letztes Jahr kam ich frisch aus einer Grippe und lief sicherheitshalber nur die halbe Strecke: Ich will diesen Lauf abhaken!

Außerdem hab ich einen Startplatz beim Berlin-Marathon gewonnen. Den bin ich zwar schon gelaufen und es war wunderschön - aber mit Verletzung und daher superlangsam.

Sonst? Der Worldrun in St. Pölten oder München. Der Wachau-Halbmarathon. Vier oder fünf andere, einfach schöne Halbmarathons. Und was sich sonst ergibt. "Nix auf Tempo - nur Genuss", versicherte ich mir und der Trainerein. Ich glaubte mir. Aber Illes lachte. Und schlug vor, bei "Laufen hilft" doch einmal "eine Bestandsaufnahme zu machen". Testlauf.

Foto: Thomas Rottenberg

Vergangenen Sonntag also. Wetter: Super. Frisch. Sonnig. Beinahe windstill. Besser geht nicht: Diese Ausrede würde wegfallen. Genauso wie die von organisatorischen Mängeln: Martin Mair (Bild) wickelt da mit seinem Team einen hochprofessionell aufgezogenen Lauf ab.

Obwohl die Charity-Event-Macher vor acht Jahren nach dem Prinzip "learning by doing" loslegten, könnte sich so mancher kommerziell agierende Veranstalter eine Scheibe abschneiden.

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Das spürt man auch als Läufer. Oder Läuferin. Egal, ob man da als ehrgeizige Profi-Truppe mit dem Anspruch, alle Wertungen für sich zu entscheiden, antritt (wie die Damen vom Tristyle-Runplugged-Team, die für mich schon VOR dem Start so posierten, wie sie es nachher in Siegerinnenpose für die anderen taten: Elisabeth Niedereder (re.) gewann den Fünf-, Annabelle-Mary Konczer (li.) den Zehnkilometer-Bewerb - und Conny Köpper den Halbmarathon) …

Foto: Thomas Rottenberg

… oder die Kinder, die da in den diversen Wichtel-Wertungen Vollgas gaben, anfeuert …

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… oder Versorgungsstellen, deren "Besatzung" nicht nur sichtlich Spaß hat, sondern neben Getränken auch Hopp-Auf-Gebrüll und andere akustische "Antaucher" servieren.

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Aber vor allem sind das die Leute, auf die es bei einem Volkslauf ankommt - und die von manchen "profesionellen" Veranstaltern ganz gerne vergessen, gering geschätzt oder halt als notwendiges, weil die Veranstaltung finanzierendes, Übel in Kauf genommen werden: Die große Masse der Hobbyläufer.

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Wenn Jederfrau und Jedermann Spaß haben, spürt man das. Auf der Strecke. Aber eben nicht in den Zeitungs- und TV-Berichten, die sich nur auf die Elite konzentrieren - und in denen das Normalo-Fußvolk lediglich als große Zahl oder Hintergrundmalerei vorkommt.

"Laufen Hilft" zeigt jedes Jahr aufs Neue, dass das auch anders geht. Dass der Balanceakt zwischen Leistungs-Anspruch und Volkslauf gelingen kann …

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… und man diese Stimmung dann eben auch in den Gesichtern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sieht.

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Oder ihren Bärten.

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Ich jedenfalls trabte fröhlich - und ohne aufs Tempo zu achten - im "Wohlfühlpace" vor mich hin. Und bemerkte erst, als mir Annabelle-Mary Konczer (und Sekunden später, als die Kamera gerade unten war, auch Sandrina Illes) auf der Hauptallee entgegen flog, dass ich weit schneller unterwegs war, als gedacht: Ich hätte nicht erwartet, die Elite auf dem kurzen "Gegenverkehrs"-Stück, beim Lusthaus überhaupt zu sehen. Sowas tut gut - und beflügelt.

Foto: Thomas Rottenberg

Erst recht, wenn man nach der Wende merkt, dass der entgegenkommende Pulk viel viel dichter ist, als das Feld, in dem man selbst unterwegs ist.

Sicher: Es geht um nix. Jeder läuft nur gegen sich selbst - und normalerweise ist mir dieses Gefühl auch wurscht. Nur: So zu sehen, dass ich besser unterwegs war, als erträumt, war schon geil.

Foto: Thomas Rottenberg

Wobei natürlich jeder unter anderen Bedingungen läuft: Mit Kinderwagen schaffe ich die Hauptallee im Wettkampftempo sicher gar nicht. Wobei es da auch etwas Grundsätzliches festzuhalten gibt: In Wien sind Kinder- und andere Wägen bei Laufveranstaltungen - im Gegensatz zu vielen Laufevents in der zivilisierten Welt - nicht gern gesehen. Genauer gesagt: verboten.

Bei "Laufen hilft" liegt das nicht am Veranstalter - sondern an behördlichen Auflagen. "Du willst nicht wissen, was alles nicht geht", seufzte Martin Mair, als ich ihn darauf ansprach.

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Aber da es auf und neben der Strecke so viel anderes zu sehen und erleben gab, fand sich schlicht und einfach niemand, der Zeit und Muße gehabt hätte kinderwagenschiebende Läuferinnen und Läufer aus dem Rennen zu holen.

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Das hätte auch nicht wirklich zur Stimmung gepasst …

Foto: Thomas Rottenberg

...schließlich ist das hier ein Charity-Event. Noch dazu einer, bei dem auch genug Platz für andere karitative Sammler ist.

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Und bei dem jeder und jede - getreu dem Motto Friedrich II. zugeschriebenen Wort - "nach seiner Facon selig" werden soll. Wobei mir, als ich nach dem Stadioncenter auf "meine" erste Nordic Walkerin traf, nicht klar war, was gleich passieren würde.

Foto: Thomas Rottenberg

Blöderweise spazieren Nordic Walker nämlich gerne in Gruppen. Nachvollziehbar: Spazierengehen ist - mit und ohne Stöcke - etwas Kommunikatives. Erst recht, wenn man gemütlich am hinteren Ende eines Feldes mit Freunden und Bekannten dahinbummelt.

Schon die führenden Läufer und Läuferinnen klagten nach dem Lauf, dass es stellenweise echt mühsam gewesen sei, an den teils massiven Walker-Blöcken vorbei zu kommen.

Foto: Thomas Rottenberg

Und das, obwohl die Elite eh eher wenige Läufer und -innen in KLeingruppen umfasst. Zehn Minuten später, als meine Leistungsklasse auf die Stockschwinger auflief, waren das schon mehr und dichter gedrängte Läufer.

Dennoch dachten die Spaziergänger - obwohl sie ständig von den von hinten immer dichter anstürmenden Läufern darum gebeten wurden - nicht im Traum daran, ihre Plauder-Formationen auch nur einen Zentimeter schmäler zu gruppieren.

Foto: Thomas Rottenberg

Zehn Minuten nach mir knallte dann das wirklich dichte Hauptfeld auf die Spaziergänger, die (hier im Bild in rot und eineinhalb Kilometer vor dem Ziel) mitunter als massiver Block die ganze Breite der Laufstrecke belegten: Für Läufer, die da ihre letzten Kräfte mobilisiere, ein - im Wortsinn - Spießrutenlauf.

Das sahen auch - noch während es Events - die Veranstalter so: "Das geht so nicht. Das müssen wir nächstes Jahr anders lösen", erklärte ein sichtlich verstimmter Martin Mair.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber das Schöne am Laufen: Zehn Sekunden nach dem Zieleinlauf ist derlei vergessen. Da freut man sich. Einfach, weil man (oder frau) es geschafft hat. Weil es Spaß gemacht hat.

Hoffentlich: Das ist der Hauptunterschied zwischen Hobby- und Jedemannläuferinnen und -läufern und der Elite: Es geht bei uns um nix. Außer darum, uns selbst zu besiegen. Obwohl: Das ist wahnsinnig viel. Und deshalb darf man sich dann auch ordentlich belohnen.

Foto: Thomas Rottenberg

Und ich? Ich hatte Megaspaß. Keine Schmerzen unterwegs und danach. 47irgendwas. Trotz Fotostops. Das passt schon. Ist weit besser, als ich in meinen optimistischsten Vorstellungen gehofft hätte. Da schienen 55 Minuten nämlich illusorisch. Testlauf? Gelungen.

Die Trainerin, die über die 10 Kilometer souverän Silber geholt hat, schickt mich mit Blick auf den VCM jetzt doch auf die langen Trainingsläufe. "Langsam! Dich muss man vor dir selbst bewahren." Deshalb mit Vorbehalt: "Du willst dir doch wegen diesem einen Marathon nicht wieder die ganze Saison kaputt machen?"
(Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.3.2015)

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