Auf dem Weg zur Probebühne: Ex-Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann blickt auf sein schwierigstes Jahr zurück.

Foto: Christian Fischer

STANDARD: Nach einem Jahr wieder auf der Probebühne: Wie fühlt sich das an?

Matthias Hartmann: Die Markierungstapes auf den Brettern, die die Welt bedeuten, die alten Kulissenteile, der Geruch aus Staub und Anstrengung: Nichts hat mich mehr geprägt im Leben als das.

STANDARD: Wie sehr hat Sie das vergangene Jahr verändert?

Hartmann: Den ganzen Albtraum zu überleben war schwer. Es ist buchstäblich eine Frage des physischen Überlebens. Plötzlich aus der Biografie geschossen zu werden – das absolute Grauen. Vor allem die Nächte möchte ich nicht noch mal erleben. So, wie sich ein Süchtiger ein Leben ohne Alkohol, Nikotin oder Drogen nicht vorstellen kann, so konnte ich mir ein Leben ohne Theater nie vorstellen. Ich war 28 Jahre ausschließlich in diesem Kosmos zu Hause …

STANDARD: … und jetzt machen Sie Fernsehen bei Servus TV?

Hartmann: Ich bleibe Theaterregisseur. Das war ich auch, ehe ich Direktor wurde. Aber die Menschen, für die ich jetzt arbeite und für die ich ein Herz und großen Respekt entdecke, die lassen mich in meinem Beruf als Theaterregisseur weiterarbeiten. Ich habe vier Inszenierungen vor mir, darunter an der Scala. Doch durch die dankenswerte Handreichung dieses Senders hatte ich die Chance, einen neuen Kosmos kennenzulernen.

STANDARD: Wo sind Schnittstellen zwischen Theater und Fernsehen?

Hartmann: Was mir zugute kommt, ist ein Gespür dafür, wie Dinge wirken. Warum und wann eine Geschichte die Menschen interessiert, warum sie dranbleiben wollen. Auch Shakespeare und Molière waren quotensüchtig. Aber hätten sie sich nur für Quoten interessiert, hätten sie kein Theater gemacht, sondern Gaukler- und Tierhatzspektakel. Die hatten noch mehr Zuseher als Theater. Doch sie saßen in jeder Vorstellung und drehten so lange an den Pointen, bis sie auch diejenigen erreichten, die im Parterre fraßen und in den Logen vögelten. Halbleere Säle sind für mich keine Entschuldigung für einen Künstler. Das ist auch die Schnittmenge, die ich zum Fernsehen habe. Ich entwickle gern für einen Sender, der sich Qualitätsfernsehen verschrieben hat, Formate mit Anspruch. Aber mich interessiert auch, dass es viele Menschen sehen wollen. Was ich bei den Verantwortlichen des Senders übrigens sehr genieße, ist, wie transparent, offen, unverstellt hier alles abläuft: keine Tricks, keine Intrigen, klar sagen, was man denkt – herrlich. Das hätte ich mir fürs Burgtheater auch gewünscht ...

STANDARD: ... wegen dessen intransparenter Finanzgebarung Sie fristlos gekündigt wurden.

Hartmann: Der damalige Bundestheater-Holdingchef Georg Springer wollte mich in dem Moment loswerden, als ich beweisen wollte, dass die Schulden schon vor meiner Zeit da waren. Dass dies tatsächlich so war, wurde mir auch in einer Aufstellung von den Wirtschaftsprüfern bestätigt. Ich habe einen Prozess angestrengt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.

STANDARD: Wer trägt aus Ihrer Sicht die Verantwortung fürs Debakel?

Hartmann: Ich glaube, dass der Auftrag zur vielzitierten "schwarzen Null" von Springer kam. Nicht, weil er dem Burgtheater was Gutes wollte. Sondern weil er seit mehr als 30 Jahren an einem Job klebte, der von Rechts wegen eigentlich ausgeschrieben gehörte. Er hat seit der Ausgliederung 1999 das Budget unbemerkt auf 60 Prozent heruntergefahren, ohne dass es Proteste gab. Durch die falsche Darstellung der Vermögensverhältnisse, die er Stantejsky offenbar anordnete, sah niemand, dass etwas fehlte. Alle haben gespart, gleichzeitig wurde getrickst, um den riesigen strukturellen Verlust zu kaschieren.

STANDARD: Ihre damalige Vizedirektorin und kaufmännische Direktorin Silvia Stantejsky sagt, sie habe tricksen müssen, um Ihr teures Programm zu ermöglichen.

Hartmann: Na, vielen Dank! Aber wenn die Schulden schon vorher da waren, hätte sie doch zu mir kommen und mich darauf aufmerksam machen müssen. Ich habe mit Experten meinen Intendantenwechsel durchgerechnet. Addiert man das, was man üblicherweise für Intendantenwechsel bezahlen muss, mit den schon dagewesenen Schulden und zählt auch die Steuerschulden aus den Jahren vor meiner Intendanz dazu, so ist das ein riesiger Berg. In meinem Vertrag stand, dass ich die Burg schuldenfrei übernehme. In Wahrheit gab es ein jährliches strukturelles Deifizit von fast zwei Millionen Euro, das ich durch Sparmaßnahmen und erhöhte Zuschauerzahlen abfangen konnte. Hätte ich nicht günstig gewirtschaftet, wären die Schulden doppelt so hoch. Das hat mir der derzeitige kaufmännische Direktor Thomas Königstorfer attestiert, ehe ich ging.

STANDARD: Wenn Sie Teile Ihres Honorars in der Handkasse liegen ließen: Hätten Sie dann nicht das System Stantejsky durchblicken müssen?

Hartmann: Das war Springers Argument. Ich nehme mir übel, dass ich nicht von vornherein gesagt habe: Leute, dieses Geld steht mir zu, das habe ich zur Hälfte abgerufen, die andere nicht. Aber das macht mich nicht zum Mitwisser eines Systems, das ich erst jetzt mehr und mehr durchschaue und erkenne, wer aller verwickelt war und nun froh ist, dass ich weg bin. Denn je mehr ich aufdeckte, umso gefährlicher wurde ich für Springer. Hätte ich das System gekannt, hätte ich nicht versucht, es aufzudecken. Denn dann hätte ich ja etwas zu verbergen gehabt.

STANDARD: Was entgegnen Sie dem Vorwurf des Kulturministers, Sie hätten Ihre Geschäftsführeraufgabe nicht wahrgenommen?

Hartmann: So ein Wahnsinn! Wie soll ein künstlerischer Direktor besser kontrollieren als Aufsichtsräte, interne Revisionen, Wirtschaftsprüfer, Aufsichtsräte des Finanzministeriums und letztendlich die Holding. Unmöglich! Allein wenn vom Vieraugenprinzip die Rede ist, dachten immer alle: klar, Hartmann und Stantejsky. Aber das Vieraugenprinzip galt in Bezug auf Überweisungen für Stantejsky und die Buchhaltung. Ich hatte keine Kontenvollmacht, hatte weder Befugnis, Buchungen vorzunehmen, noch Geld zu transferieren. Kein künstlerischer Direktor hat das, weder vor noch nach mir.

STANDARD: Tatsache ist aber doch, dass Sie mit dem kaufmännischen Direktor die Gesamtverantwortung hatten.

Hartmann: Tatsache ist auch, dass ich vorher zwei Theater tadellos geführt und blitzsaubere Zahlen hinterlassen habe. In Bochum hatte ich sogar das alleinige Zeichnungsrecht – aber auf der einen Seite einen Kulturdezernenten und einen Kulturausschuss sowie eine Verwaltungsleiterin auf der anderen Seite, die sehr genau aufpasste, dass ihre Zahlen in Ordnung sind. Übrigens attestieren sowohl die Bochumer Verwaltungsleiterin als auch der kaufmännische Direktor des Zürcher Schauspielhauses meinem kaufmännischen Gebaren die allerbesten Noten.

STANDARD: Warum dann die schlechte Nachrede aus Zürich?

Hartmann: Die kam von Leuten, die gehen mussten, bevor ich kam. Herr Klötzner, der kaufmännische Direktor, spricht eine andere Sprache. Gemeinsam mit ihm habe ich meiner Nachfolgerin eine Riesenreserve hinterlassen.

STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihrer Nachfolgerin Karin Bergmann?

Hartmann: Es ist für sie sicherlich komplizierter als für mich. Wir hatten ein freundschaftliches Verhältnis, waren wechselseitig auf unseren Partys. Sie könnte erklären, wie es wirklich war. Aber da sie ihre eigene Daseinsberechtigung davon ableitet, dass ich wegmusste, kann sie's nicht.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Absicht des Ministers, die Holding zu stärken?

Hartmann: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder macht man den Holdingchef endgültig zum Generalintendanten. Oder man macht es wie überall: Das Theater berichtet direkt dem Ministerium. So spart man eine Menge Geld. Es gibt einen einzigen Grund für eine starke Holding: den der Kontrolle. Doch diesen Grund hat die Holding in der Vergangenheit komplett verwirkt. Springer konnte ja auf seinem Bildschirm zeitgleich jede Buchung des Burgtheaters sehen.

STANDARD: Springer ging in Pension, Sie vor Gericht. Derzeit ist Ihr Prozess aber ruhend gestellt. Die Republik prüft bei Stantejsky, Springer und Ihnen, ob und welche strafrechtlich relevanten Taten gesetzt wurden. Beunruhigt Sie das?

Hartmann: Entscheidend ist, dass herauskommt, was sich wirklich zugetragen hat. Dieser schmachvolle und ungerechte Vorwurf muss aus der Welt! Der Minister kann nicht wissen, wie sehr ich betrogen wurde. Es ist ihm zuzubilligen, dass er es herausfinden will. Dass in der Zwischenzeit fast mein Leben zugrunde gegangen ist, dass er bei Verdachtsmomenten nicht offen zu mir gesagt hat, was man mir vorwirft und mir nicht die Chance zu einer Stellungnahme gegeben hat, das werfe ich ihm vor. Das wäre ein Gebot der Fairness und der Menschlichkeit. Aber er plante als frischgebackener Minister einen politischen Coup: Ich wusste von Gert Voss, dass Ostermayer ihn, schon Tage ehe er mich feuerte, gefragt hatte, ob er meinen Job übernehmen würde. Die leider viel zu früh verstorbene Uschi Voss wäre bereit gewesen, dies auch vor Gericht auszusagen

STANDARD: Wie sehr kränkt es Sie, dass Ihnen Teile des Ensembles die Solidarität entzogen?

Hartmann: Sie stellten sich nicht ganz zu Unrecht die Frage: Warum soll Stantejsky an allem schuld sein, da muss der Hartmann genauso in die Pflicht. Außerdem habe ich dieses ganze bequeme Gefüge durcheinandergewürfelt. Ohne Verletzungen gingen die Sparmaßnahmen nicht über die Bühne. Ich habe Menschen karenziert, die Filme drehen oder bei ihrer Familie bleiben und trotzdem ihr Geld an der Burg verdienen wollten. Diese Maßnahmen haben mich nicht wirklich beliebt gemacht.

STANDARD: Verstehen Sie, dass Ihre hohen Gagen empörten?

Hartmann: Diese Frage nervt total. Meine Gage wurde mir angeboten. Ich habe gutes Geld verdient, viele Kollegen haben mehr bekommen. Ich bin ja gerannt wie ein Irrer. Kann man so rennen? Wer hätte mich am Rennen gehindert, wenn das nicht passiert wäre?

STANDARD: So gesehen sind Sie also dankbar für die Situation?

Hartmann: Na, Sie können mich mal! Aber ich bin darüber erstaunt, wie viele Menschen sich ein Mütchen an mir kühlen mussten. Ich hatte wirklich viele, viele gute Freunde. Sensationsfreunde! Sie können sich gar nicht vorstellen, wie gut ich befreundet war – auch mit vielen im Ensemble! Mit Menschen, die jetzt wisch, wasch, wusch weg sind. Der abendliche Gang durch die Garderoben, mal hier sitzen, mal da, die Erzählung, das Lächeln, die Umarmung, die Floskeln, wie alle Menschen so unbeschreiblich mit einem zusammen sind; und wie jetzt viele ihren Haltungswechsel begründen oder behaupten, es sei gar kein Haltungswechsel, sie hätten immer schon so gedacht: Das erstaunt mich. Übrig bleiben die wahren Freunde. Das ist ein unschätzbarer Wert. Und ein paar neue, die dazukommen.

STANDARD: Ihre Kritiker sagen, Sie hätten eitles Quotentheater gemacht.

Hartmann: Genau. Deshalb habe ich ja Leute wie Jan Lawers und Thomas Vinterberg geholt und das Kasino zu einem wunderbaren Ort des Ausprobierens gemacht. Das sind Klischees. Aber ich nahm die Vorwürfe ernst, untersuchte mich selbst. Wenn ich mein Programm aufgrund dieser Reflexionen änderte, dann hieß es allerdings sofort, ich mache es nur aus Anbiederung. Es war ein Krieg, von Anfang an. Und jene Journalisten, die wesentlich an meinem Sturz beteiligt waren, sind jetzt nicht an der Aufklärung interessiert. Sie können sich nicht um 180 Grad drehen, weil sie zu sehr verstrickt waren.

STANDARD: Klingt nach Verfolgungswahn?

Hartmann: Als ich kam, hatte ich zwei Feinde, einen im "Falter", eine im "Profil". Beide sind auch Korrespondenten für deutsche Medien. Da zitiert die "Profil"-Journalistin in der "Welt" einen "Profil"-Artikel, ohne zu schreiben, dass dieser von ihr selber stammt. Der "Falter"-Redakteur fragte mich, welches Auto ich führe. Sagte ich "Porsche". Fragte ich, welches Auto er habe. Sagte er "Porsche". In meinem Fall ein Makel, in seinem Fall keiner. Dann spielte sich der Leiter eines Wiener Filmfestivals ohne jegliche Sachkenntnis im "Profil" als Sitten- und Moralapostel auf. Und ein österreichischer Dramatiker, den ich nie gespielt habe, log in Ihrer Zeitung, ich hätte mir Auftragshonorare und Tantiemen selber zugeschanzt. Alles war erlaubt, jede Lüge, jede Verleumdung.

STANDARD: Womit erklären Sie sich diese vehemente Gegnerschaft?

Hartmann: Ich wirke auf manche arrogant. Und es muss ein tiefer Affront gewesen sein: Sie brachten alles in der Welt auf, um mir Schaden zuzufügen, und trotzdem ging die Erfolgskurve der Burg stetig nach oben. Dass ich den Eindruck erweckte, die Kritik pralle an mir ab, sehe ich heute als einen gravierenden Fehler. In Wahrheit war ich aufs Tiefste verletzt, fühlte mich wie Hase Hartmann, der auf diesem Kriegsfeld Haken schlägt, um diesen Schüssen zu entkommen. Dafür bin ich dann allerdings verhältnismäßig geraden Rückens gestorben.

STANDARD: Sehnen Sie sich danach, wieder ein Theater zu leiten?

Hartmann: Was mir fehlt, ist ja nicht das Theater als Institution, das "Guten Morgen, Herr Direktor" oder die Limousine mit Chauffeur, sondern die Probebühne: Der Ort, wo ich mich mit ein paar Menschen zusammensetze, erstmal ratlos vor einem Textgebilde bin, das erst durch die gemeinsame Arbeit zu einem Kunstwerk wird. Diese Erfahrung ist das Tiefste, Wesentlichste und Wichtigste in meinem Leben, sie tentakelt in eine Sphäre, wo ich Dinge, die ich im Vorhinein nicht wissen konnte, herunter ahne in die Wirklichkeit.

STANDARD: Klingt ein bisschen religiös.

Hartmann: Ich habe mit dieser Analogie kein Problem. Ich würde künstlerische Prozesse fast als Antenne zu Gott beschreiben – wenn man den Begriff so fasst, dass es immer nur Annäherung sein kann und nie perfekt. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 5.3.2015)