Es gibt da diesen Blick, den Gorilla-Blick. Versuchen Sie's einmal, und erwähnen Sie irgendjemandem gegenüber, egal welchen Alters, welchen Berufs oder welcher Herkunft das G-Wort. Dieser Jemand wird blitzartig Sternderln und Herzerln in den Augen bekommen, die alle Sternderln und Herzerln, die er möglicherweise bei der Erinnerung an seine erste große romantische Liebe zu zeigen beliebt, um ein Vielfaches übertreffen. Warum das so ist? Das bleibt letztendlich ein Rätsel.

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Foto: Reuters/Thomas Mukoya

Vollkommen klar ist dagegen, dass die heilige Johanna der schwanzlosen Menschenaffen, Dian Fossey, entscheidenden Anteil am Zustandekommen dieses letzten universellen Mythos hatte. Und noch mehr der auf ihrem Buch und ihrer Lebensgeschichte basierende Film "Gorillas im Nebel" mit Sigourney Weaver. Wer ihn je gesehen hat, wird eine Szene nie wieder vergessen: jene, in der ein großer schwarzer Primat einer schmalen weißen Menschenfrau seine riesige Pfote in ihr kleines Händchen legt. Taschentuchalarm!

Auf nach Uganda

Der Fossey-Film-Hype hat den Gorilla-Tourismus in Ruanda mitbegründet und ihn quasi an dieses Land gekoppelt. Nun will allerdings Uganda, wo im Bwindi-Nationalpark rund 400 Berggorillas - von insgesamt 880 Tieren in ganz Ostafrika - leben, auch seinen Anteil an den lukrativen Besucherströmen. Also auf nach Uganda!

Nach einer Stunde Autofahrt von der Landepiste in Kayonza erreicht man gut durchgeschüttelt den Eingang zum Bwindi-Nationalpark im äußersten Südwesten des Landes. Ein erster Spaziergang ins nächste Dorf beweist, dass hier wirklich alles im Zeichen der schwarzfelligen Hauptdarsteller steht. Es gibt nicht nur eine Gorilla-Klinik, sondern auch einen Gorilla-Pub und viele affige Souvenirs.

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Beim Abendessen auf der Terrasse der Silverback Lodge mit prächtigem Ausblick auf die wolkenverhangenen Berge des Bwindi-Regenwalds kommen Diskussionen grundsätzlicher Natur in Gang. Wie kann es sein, dass der Gorilla zum universellen Symbol für alles Gute, Schöne und Friedfertige geworden ist, wo er doch im Alltagsgebrauch des Wortes für das genaue Gegenteil steht: also für schwarzgekleidete, schwarzbesonnenbrillte und gewaltbereite Steroidpakete.

Das G-Wort

Nachdem sich im Laufe der weiteren flüchtigen Konversation mit englischen, schottischen, amerikanischen und norwegischen Großmüttern, Müttern und Töchtern am Nebentisch wieder einmal die absolut unfehlbare Wirkung des G-Wortes herausgestellt hat, gendert ein erfahrener Reiseteilnehmer diesen Effekt. Auch gestandene Mannsbilder wie der Frankfurter Zoodirektor hätten schon verlauten lassen, die Begegnung mit einem Berggorilla wäre das bewegendste Erlebnis ihres gesamten bisherigen Lebens gewesen. Außerdem hätte dieser Reisende schon mit eigenen Augen erlebt, dass ganze Rudel von Machos beim Anblick der Tiere in haltloses Heulen ausgebrochen wären. Nun gut, man ist gespannt.

Am frühen Morgen: Landrover, verschlafene Gesichter, steile Bergstraßen, Sammelpunkt. Im Nationalpark erfährt man zunächst einiges über dessen berühmteste Bewohner: 31 Gorilla-Familien gäbe es in diesem Teil des Bwindi, neun davon seien die Gegenwart von Menschen gewöhnt, darunter die Familien Mubare, Rishegura und Habinyanja.

Eine Stunde unter Affen

Ein Guide erklärt gelassen die Spielregeln: Man wird einer Gorilla-Familie zugeteilt. Keine Gruppe darf mehr als acht Teilnehmer haben. Es gäbe zwar eine Garantie, dass man für seinen Erlaubnisschein um 540 Euro - in Ruanda kostet er fast 900 Euro, was für ein Wettbewerbsvorteil für Uganda! - irgendwann irgendwelche Menschenaffen zu Gesicht bekäme. Man könne aber nicht sagen, wann und wie viele, und sobald man sie anträfe, dürfe man nur abgezählte 60 Minuten bei ihnen bleiben.

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Dann fragt er in die Runde, ob man nicht einen Träger wolle. Homerisches Gelächter ist die Antwort. Wieso Träger? Man sei doch kein Krüppel, wäre fit wie ein Turnschuh und habe doch kaum etwas zu tragen. Das könne doch nur wieder so ein dreister Zusatznepp sein. Na gut, dann nicht, meint der Guide, lädt alle ins Auto und fährt los.

Fast senkrechtes Gefälle

Vorerst ist es eine vergnügliche Wanderung, wie am Semmering auf dem Weg zur Speckbacherhütte. Man scherzt und malt sich aus, wie denn der langerwartete Moment X sein würde. Ja, man war gewarnt worden, dass es auch vier bis sechs Stunden bis zur Sichtung dauern könne, aber was soll's. Die Ranger unterhalten sich über Funkgeräte, und fast hat es den Anschein, dass der magische Augenblick unmittelbar bevorsteht. Doch dann passiert's.

Ohne jegliche Vorwarnung - es sei denn, man hat die besorgten Gesichter der Soldaten, die zum Schutz gegen grenzüberschreitend agierende Wilderer mitgehen, als solche gedeutet - geht es mit einem Mal steil bergab. Nicht mit 70, 80 oder 90 Prozent Gefälle, sondern fast senkrecht. Man rutscht und rutscht und rutscht.

Samariter-Stock

Es ist schwül, das Laub auf dem Boden ist nass. Wenn man sich an einem Zweig festhält, greift man in Dornen und Nesseln. Wie ein mildtätiger Samariter reicht einem einer der Soldaten hie und da einen Wanderstock, gelegentlich auch die Hand. Der beruhigende Gedanke, dass das nicht ewig so weitergehen kann, kommt auf. Noch nie hat man sich derart getäuscht. Es rutscht mittlerweile nicht nur im Gelände, sondern auch innerhalb der Schuhe - ach, hätte man doch nur einen Träger genommen!

Die körperliche Anstrengung und der seelische Stress, man könnte die Gorillas einfach verpassen, machen einem zu schaffen. Doch während das eigene Leben wie in einer Primaten-Doku an einem vorbeizieht, rast auf einmal ein Silberrücken mit archaischer Wucht mitten durch die Gruppe und weist den Weg zu seiner Familie. Die Weibchen turnen auf den Bäumen herum, er macht es sich bequem und sieht aus wie unsereins, der sich vor den Fernseher hinflatscht und die Fernbedienung sucht.

Seine menschlichen Verwandten sind schweißgebadet, komplett außer Atem und eigentlich am Ende. Da schaut ihnen der Silverback direkt in die Augen, trifft sie völlig unvorbereitet mit seinem Gorilla-Blick. Nein, er hat nicht seine große Hand in die ihren gelegt. Und nein, sie haben auch nicht geweint. Sagen sie. Es ging alles sehr schnell. (Robert Quitta, Rondo, DER STANDARD, 6.3.2015)

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