Elisabeth Köstinger: "Wenn eine Beziehung nicht funktioniert, versucht man es sehr oft auch nicht mehr. Genauso ist es mit den Lebensmitteln, sie werden eingekauft, ein Drittel davon wird wieder weggeworfen."

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Die Europaabgeordnete Elisabeth Köstinger ist eine von vier Stellvertretern von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner und Vizepräsidentin des Bauernbunds. Mit derStandard.at sprach sie über die Macht der Frauen innerhalb der ÖVP, das "Katz-und-Maus-Spiel" des Bundeskanzlers und "das böse TTIP".

derStandard.at: Sie sind Stellvertreterin von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Was ist Ihr Gestaltungsspielraum innerhalb der Partei?

Köstinger: Der Parteichef hat in den letzten Wochen und Monaten gezeigt, dass er einen neuen Stil in die ÖVP bringt. Nicht nur wir Stellvertreter, sondern generell die Basis der ÖVP ist sehr stark eingebunden.

derStandard.at: Wird es vermögensbezogene Steuern geben können mit der ÖVP?

Köstinger: Die ÖVP-Position ist klar: Wir kämpfen für jene, die Leistung erbringen und Eigentum erwirtschaften. Ich glaube, dass unser Kanzler Katz und Maus spielt. Ständig neue Steuererhöhungsvorschläge über die Medien bringen uns dem Ziel einer Entlastung keinesfalls näher.

derStandard.at: Sollte die Steuerreform scheitern: Wären Neuwahlen für Sie eine Alternative?

Köstinger: Neuwahlen sind für uns zurzeit überhaupt kein Thema. Sollte die Reform wirklich scheitern, kann man danach sehr ausführlich über die Konsequenzen sprechen. Jetzt verwenden wir unsere Energie darauf, den Koalitionspartner davon zu überzeugen, was richtig und wichtig ist. Aber: Wenn der Kanzler von seinem populistischen Trip heruntersteigt, bin ich zuversichtlich, dass etwas zustande kommt.

derStandard.at: Wiens Bürgermeister Michael Häupl hat einen Verzicht auf Vermögenssubstanzsteuern signalisiert. Wie wird die ÖVP der SPÖ entgegenkommen?

Köstinger: Der Entscheidungsfindungsprozess in der SPÖ scheint noch nicht ganz abgeschlossen zu sein.

derStandard.at: Sollte es zu Neuwahlen kommen, wäre eine Koalition mit der FPÖ denkbar?

Köstinger: Es muss mit jedem gesprochen werden. Die FPÖ hat sehr große Probleme, wenn man sich ihre Ausrichtung und ihr Programm ansieht. Zum Teil ist auch ihr Personal fraglich. Ob es eine Zusammenarbeit geben kann, hängt an den Themen und an den handelnden Personen.

derStandard.at: Auf Ihrer Website heißt es, Sie wollen die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen fördern. Was wären die wichtigsten Maßnahmen?

Köstinger: Frauenförderung beginnt in den Familien. Den Kampf, dass Frauen für gleiche Arbeit gleich viel bezahlt werden soll, dürfen wir nicht aufgeben.

derStandard.at: Mit der Forderung nach gleicher Bezahlung für gleiche Leistung ist die ÖVP in letzter Zeit nicht gerade aufgefallen.

Köstinger: Gerade in der ÖVP haben Frauen einen viel höheren Stellenwert, als es manchmal wahrgenommen wird. Die ÖVP ist an vorderster Front dabei, die Situation für die Frauen in Österreich zu verbessern.

derStandard.at: In der Regierungsriege stellt die ÖVP gerade einmal zwei Ministerinnen. Das lässt am Stellenwert der Frauen in der ÖVP zweifeln.

Köstinger: Die Realität, die ich an der Bauernbund-Spitze erlebe, sieht ganz anders aus. Frauen, die in Spitzenpositionen gebracht werden sollen, lehnen fixe Mandate ab, weil sie die Doppel- und Dreifachbelastung fürchten. Ein Beispiel für die erfolgreiche Positionierung von Frauen: Bei der EU-Wahl haben wir für die ersten zehn Listenplätze das Reißverschlussverfahren angewandt. Das hat hervorragend funktioniert.

derStandard.at: Wünschen Sie sich das Reißverschlusssystem auch für nationale Wahlen auf der ÖVP-Liste?

Köstinger: Unsere Mitgliederbefragung hat knapp, aber doch ergeben, dass es überlegenswert wäre, Systeme einzuführen, die Frauen stärker herausstreichen. Man muss sich das anschauen. Aus eigener Erfahrung in der Gemeindepolitik weiß ich, dass es gerade für Frauen oft schwierig ist, neben Kinder- und Altenbetreuung politisch aktiv zu werden.

derStandard.at: Propagieren Sie das Reißverschlusssystem im ÖVP-Präsidium?

Köstinger: Das muss man sich genau anschauen. Unsere Mitglieder haben sich bei der Befragung für ein Vorzugsstimmensystem ausgesprochen. Das widerspricht dem Reißverschlusssystem. Aber prinzipiell ist alles, was Frauen unterstützt, willkommen.

derStandard.at: "Nicht nur optisch herzeigbar" nannte Sie Bauernbund-Präsident Jakob Auer. Freuen Sie sich über solche Titulierungen?

Köstinger: Das wurde aus dem Kontext gerissen, er hat vorneweg meine Leistungen hervorgehoben. Jakob Auer erfüllt ein väterlicher Stolz, wenn er mich sieht und mich in meinem Tun begleitet. Ich erfahre sehr viel Wertschätzung, aber ich bringe mit Sicherheit auch meine Leistung. Als Frau wird man aber anders wahrgenommen, daher muss man mindestens dreimal so viel wissen und tun wie ein Mann.

derStandard.at: Ist das auch eine Kritik an den Medien?

Köstinger: Medien gehen generell nicht zimperlich mit Politikern und Politikerinnen um, das ist auch okay, denn es braucht eine Kontrollinstanz. Wichtig sind kritische Medien. In Österreich halte ich die Marktdurchdringung der über Inserate finanzierten Boulevardmedien für höchst problematisch.

derStandard.at: Die Parteien sind wesentlich an der Finanzierung dieser Boulevardmedien mit Inseraten beteiligt.

Köstinger: In Österreich kann man von einem Ungleichgewicht sprechen. Der Qualitätsjournalismus gerät ins Hintertreffen. Für den Qualitätsjournalismus gilt das Gleiche wie für Bildung: Er kostet sehr viel Geld, aber wenn wir das Geld dafür nicht aufwenden, wird uns das noch viel mehr kosten. Die Populisten haben so immer mehr Chancen.

derStandard.at: Bei der Mitgliederbefragung ist auch herausgekommen, dass mehr als 85 Prozent eine Beschneidung des bündischen Machtbereichs in der ÖVP wünschen. Wie sehen Sie das?

Köstinger: Ich halte die Bünde für das beste System. Jede Interessengruppe hat die Möglichkeit, sich einzubringen. Das funktioniert, wenn der Obmann stark ist. Reinhold Mitterlehner hat das sehr gut im Griff. Aber: In der Stadt hat man ein anderes Gefüge, da muss man sich überlegen, was man zusätzlich zu den Bünden anbieten kann.

derStandard.at: Die Beschneidung des Machtbereichs der Bünde unterstützen Sie also nicht?

Köstinger: Die Bünde sind die Machtbasis der Partei. Ihnen verdankt die ÖVP ihre Mobilisierungskraft.

derStandard.at: Das Freihandelsabkommen TTIP beschäftigt derzeit viele Leute. Sie haben kritisiert, dass die US-Senatoren geschützte Angaben wie "Tiroler Speck" nicht anerkennen wollen. Sind die Herkunftsbezeichnungen Ihr einziger Kritikpunkt an TTIP?

Köstinger: Nein, mir geht es nicht nur um die Herkunftsbezeichnungen. Die landwirtschaftlichen Standards in Europa sind mit jenen in Amerika nicht vergleichbar. Beim berühmten Chlorhendl ist für mich nicht das Chlor das Problem, sondern der fehlende Tierschutzstandard, wenn das landwirtschaftliche Produkt produziert wird. Davor müssen wir die Landwirtschaft in Europa kompromisslos schützen. Auch Gentechnikfreiheit ist unverrückbar.

derStandard.at: Der Bauernbund sieht TTIP als eine Chance?

Köstinger: Handel ist keine Einbahnstraße. Wir tun immer so, als hätten die Europäer keine Interessen und als ob das böse TTIP über uns hereinbrechen würde. Unser Kanzler stimmt überall zu. Er hat beim Verhandlungsmandat zugestimmt und auch kürzlich der beschleunigten Verhandlung.

derStandard.at: Zurück zur ÖVP. Manchen in der Partei ist Mitterlehner zu liberal, viele sehen darin die Chance zur Öffnung.

Köstinger: Man muss nicht immer einer Meinung sein innerhalb einer Partei. Intern diskutieren wir viel. Wichtig ist, dass vorne jemand steht, der überhaupt eine Meinung hat. Die ÖVP ist im Kern wertekonservativ, wir haben ein klares Familienbild. Daran wird sich nichts ändern.

derStandard.at: Wie sieht Ihr Familienbild aus?

Köstinger: Traditionell und klassisch – ein Paar mit Kindern. Aber ich würde mir nicht anmaßen, jemandem vorzuschreiben, wie er sein Leben zu leben hat.

derStandard.at: Alleinerzieherinnen und ihre Kinder sind keine Familie?

Köstinger: Ich kann jede andere Form akzeptieren und tolerieren. Aber wenn ich mir mein persönliches Familienbild vorstelle, dann habe ich einen Partner, und mit dem habe ich auch ein Kind. Das am weitesten verbreitete, klassische Familienmodell darf mit Stolz gelebt werden und wird immer mehrheitsfähig sein. Ich hatte kürzlich im Bekanntenkreis eine Diskussion, in der ich mich fast dafür rechtfertigen musste, dass ich heiraten will. Auch das zu verurteilen steht niemandem zu. Es darf kein Wertekorsett geben.

derStandard.at: Die Frage stellt sich, ob die ÖVP bestimmte gesellschaftliche Realitäten in ihre Politik überhaupt einbezieht.

Köstinger: Warum sollten sich Kinder, die nach Scheidungen mit ihrer alleinerziehenden Mutter heranwachsen, eigentlich keinen festen Familienverband wünschen dürfen? So tragisch Einzelschicksale sein mögen, wir leben zum Teil in einer Wegwerfgesellschaft, es muss möglich sein, das anzusprechen. Wenn eine Beziehung nicht funktioniert, versucht man es sehr oft auch nicht mehr. Genauso ist es mit den Lebensmitteln, sie werden eingekauft, ein Drittel davon wird wieder weggeworfen. Das halte ich für problematisch.

derStandard.at: Dem lovntolarischen Dialekt haben Sie auf Facebook eine Liebeserklärung gemacht. Was ist Ihr Lieblingswort?

Köstinger: Roabili, das ist die Erdbeere. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 8.3.2015)