Bild nicht mehr verfügbar.

Auf Bundesebene sind rund eine Million Menschen nicht wahlberechtigt.

Foto: APA/ROBERT PARIGGER

Wenn am 11. Oktober in Wien gewählt wird, bleibt der Urnengang für jede fünfte Wienerin, für jeden fünften Wiener ein hypothetischer: Rund 350.000 in der Bundeshauptstadt lebende Menschen sind nach dem derzeit gültigen Wahlrecht von der Landtagswahl ausgeschlossen, auf Bundesebene sind rund eine Million Menschen nicht wahlberechtigt.

"Demokratiepolitisch bedenklich"

Eine von ihnen ist Ida Kristensen. Die in Aarhus/Dänemark geborene Grafikdesignerin hat ihren Lebensmittelpunkt seit 25 Jahren in Wien. Als EU-Bürgerin darf sie im Oktober ihre Bezirksvertretung wählen (sie könnte auch selbst als Bezirksrätin kandidieren), von der Landtagswahl bleibt sie jedoch ausgeschlossen. "Es ist nicht nur völlig absurd, sondern demokratiepolitisch höchst bedenklich, wenn 20 Prozent der Bevölkerung das Wahlrecht verweigert wird", kommentiert sie das derzeit gültige Gesetz. Von "defizitärer Demokratie" spricht in diesem Zusammenhang der Migrationsforscher Gerd Valchars bereits im Jahr 2006 in seinem gleichnamigen Buch.

Hier geboren, Mitbestimmung unerwünscht?

Noch jemand, der von den Wahlen ausgeschlossen ist: Aleksandar Atanasoski. Als Kind sogenannter Gastarbeiter wurde er in Wien geboren, seine Schul- und Berufsausbildung hat er ebenfalls hier absolviert. Er arbeitet, wohnt, lebt und liebt in der Bundeshauptstadt. Auch wenn sich Strache, Gudenus & Co von seinem Wiener Dialekt und seinem Wiener Schmäh eine dicke Scheibe abschneiden könnten, ist er laut FPÖ kein Wiener, weil er keinen österreichischen Pass hat. Und ohne diesen darf er als Nicht-EU-Bürger eben nicht wählen. Nämlich gar nicht. Dafür fehlt ihm verständlicherweise jedes Verständnis: "Ich bin hier geboren und aufgewachsen, lebe und arbeite hier. Politisch mitbestimmen darf ich aber nicht, weil ich einen mazedonischen Pass habe. Das ist weder fair, nachvollziehbar oder zeitgemäß!" Das sieht die ÖVP Wien anders: "Wahlrecht muss Staatsbürgerrecht bleiben. Denn am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses steht die Staatsbürgerschaft und somit auch das Recht zu wählen", heißt es etwa in einer Presseaussendung vom 7.2.2015.

Hier geboren, zur Ausländerin/zum Ausländer gemacht?

Ein kleines Gedankenspiel: Wäre Aleksandar Atanasoski eine Aleksandra Atanasoska und hätte sie im Vorjahr ein Kind auf die Welt gebracht, hätte dieses nicht die österreichische Staatbürgerschaft und wäre damit nicht wahlberechtigt. In der Vorwoche wurde die Einbürgerungsstatistik für das Jahr 2014 veröffentlicht. Demnach wurden von den ca. 7.700 eingebürgerten Personen bereits 37 Prozent in Österreich geboren. Wieso machen wir hier geborene Kinder zuerst zur AusländerInnen, die später, wollen sie neben den gleichen Pflichten auch die gleichen Rechte haben, eingebürgert werden müssen?

Appell für ein faires, zeitgemäßes Wahl- und Staatsbürgerrecht

Diese drei Beispiele zeigen: Wir brauchen dringend ein faires, zeitgemäßes Wahlrechts- und Staatsbürgerschaftsgesetz, das den Lebensrealitäten des 21. Jahrhunderts entspricht. In einem solchen Gesetz sind politische Rechte und Pflichten von der Staatsbürgerschaft entkoppelt und an den Wohnsitz gebunden. Denn wer von Politik betroffen ist, soll sie auch mitbestimmen (dürfen). Ein solches Gesetz akzeptiert, dass sich BürgerInnen zu mehreren Nationen zugehörig fühlen (können) und versteht, dass die Möglichkeit zur Doppelstaatsbürgerschaft auch aus rechtlicher Sicht (Einreisebestimmungen, Eigentums- oder Immobilienbesitz im Herkunftsland) eine Erleichterung ist. Ein solches Gesetz macht hier geborene Kinder nicht zu AusländerInnen. (Meri Disoski, daStandard.at, 3.2.2015)