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Mediziner haben mehr berufliche Optionen, als manche glauben wollen.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Zwei bis drei Jahre hätte ich vor zehn Jahren nach der allgemeinmedizinischen Lehrpraxis auf einen Turnusplatz warten müssen. Die Wartezeit machte den Entschluss leicht, ins Ausland zu gehen. Also wurden die ersten Schritte für die Emigration eingeleitet. Damals war alles noch etwas schwieriger. Denn das "ius migrandi" – welches erst hart erfochten werden musste – gab es noch gar nicht. Zur damaligen Zeit war es manchmal sogar ungewiss, ob man in einem anderen Land die Approbation erhalten würde. Glücklicherweise hat die EU Österreich inzwischen auf die Finger geklopft, sodass die Emigration um einiges leichter geworden ist. Man denke hierbei an die bekannte Petition von Michael Reichart, der dazumal in Schweden tätig war.

Niederländische "Eigenheiten"

Nachdem ich seinerzeit in die Niederlande auswanderte, fielen mir sofort einige Eigenheiten auf. Viele davon dürften sich in Österreich wohl bis heute nicht durchgesetzt haben. Eine dieser Auffälligkeiten war zum Beispiel, dass ich von niederländischen Arbeitgebern immer eine Antwort auf meine Bewerbungsschreiben erhielt. Dies war für mich sehr verwunderlich. Ließen doch österreichische Kliniken zu 99 Prozent gar nichts von sich hören. Kam es dann zu einem Bewerbungsgespräch, wurde einem vom Chef sogar Kaffee eingeschenkt, und es entstand sehr schnell eine persönliche Atmosphäre. Massenabfertigungen oder Assessments bestanden nicht.

Offenheit, Direktheit, Flexibilität

Einmal angenommen, war ich auch sehr überrascht, dass man den Chef duzen konnte und auf alle Fragen eine vernünftige Antwort erhielt. Steile Hierarchien etwa gab es eben nicht. Außerdem waren die Offenheit und die Direktheit der Niederländer sehr faszinierend. Als mein Chef mich sogar fragte, ob ich vier Tage in der Woche arbeite wolle, konnte ich es gar nicht glauben. Solche Optionen und so viel Flexibilität kannte ich aus Österreich überhaupt nicht.

Die Schattenseiten

Holland hatte aber auch seine Schattenseiten. Später merkte ich, dass es nicht so leicht war, einen Weiterbildungsplatz zu erhalten. In den Kliniken hatte es sich mittlerweile durchgesetzt, viel mit "Basisartsen" (Anm.: approbierten Ärzten) zu arbeiten. Ebenso kam es auch in den Niederlanden, wie in wohl vielen Ländern Europas, zu großen Einsparungen im Gesundheitssystem. Die Löhne waren zwar noch immer viel besser als in Österreich, aber die Arbeitsverdichtung nahm ebenso stark zu. Diese Umstände waren für mich schließlich der Grund, nach Flandern (Belgien) zu gehen. Dort erhielt man als Ausländerin glücklicherweise recht schnell einen Ausbildungsplatz. Das Klima wurde jedoch wieder "österreichischer" – wenn auch nicht vollkommen.

Wechsel in die Arbeitsmedizin

Ich selbst hatte nach all meinen Erfahrungen irgendwann genug von der Arbeitswelt "Krankenhaus", sodass für mich wieder ein Wechsel anstand. Viele meiner damaligen Kollegen berichteten mir von ihrem Jobwechsel Richtung Prävention und gaben an, dass sie die Public-Health-Ausbildung nie bereut hätten. Sie sagten, dass sie zwar weniger verdienten, nun aber endlich Zeit für ihre Kinder, Hobbys etc. hätten. Nach viel Recherche hatte ich schlussendlich den Beschluss gefasst, in die Arbeitsmedizin zu wechseln. Zu Beginn fand ich diesen Gedanken eigenartig. Irgendwie hatte auch ich in meinem Kopf, dass man nur mehr ein "Halbarzt" sein würde.

Bereut habe ich diesen Schritt aber nie. Besonders, weil die Benelux-Länder oder auch Skandinavien der Prävention einen immer höheren Stellenwert einräumen. Diesen Stellenwert wird die Prävention in Österreich vermutlich nie erhalten, womit die Arbeitsmedizin dort möglicherweise eine weniger interessante Option ist.

Mehr vom Leben

Die Emigration und der Weg in die Prävention haben sich für mich rückblickend rentiert. Es war definitiv der richtige Schritt. Schon, weil ich dadurch meine Weiterbildung verkürzen konnte, mehr Freizeit und einfach mehr vom Leben hatte und habe. Wer jedoch emigrieren will – es erweitert wirklich den Horizont –, muss sich jedoch auch darauf gefasst machen, dass im Ausland ebenso nicht alles perfekt ist. Arbeitsverdichtungen und Burnout nehmen dort genauso zu. Der große Vorteil am Ausland ist aber, dass man mehr Wertschätzung erfährt. Davon merkte ich und merkt man wohl auch heute in Österreich wenig.

Berufliche Optionen

Die Verantwortlichen müssen endlich begreifen, dass die Zeiten nicht mehr wie vor zehn Jahren sind – auch wenn sie dies gerne hätten. Geht man mit dem medizinischen Personal zukünftig nicht besser um, werden sie dieses verlieren. Mediziner haben mehr berufliche Optionen, als manche glauben wollen. Politik und Arbeitgeber sollten dies besser nicht vergessen. (Johanna Siegele, derStandard.at, 3. März 2015)