DNA-Analysen, unter anderem aus den Knochen dieser Frau aus der Jungsteinzeit, legen nahe: Vor 4500 Jahren kam es in Mitteleuropa zu einer massiven Zuwanderungswelle aus der südrussischen Steppe.

Foto: LDA Sachsen-Anhalt

London/Wien - Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte der Migrationen - heute ebenso wie vor tausenden von Jahren. Dank der neuen Möglichkeiten, uralte DNA aus Knochen zu analysieren, ist es heute möglich, diese Migrationsbewegungen mit verblüffender Genauigkeit zu rekonstruieren.

Das jüngste Beispiel ist eine aufwändige Studie zur Abstammung der heutigen Mitteleuropäer, die ein internationales Forscherteam um den Harvard-Genetiker David Reich im Fachblatt "Nature" vorgelegt hat.

Die Wissenschafter haben Teile der Genome von insgesamt 94 Menschen analysiert, die vor 3000 bis 8000 Jahren lebten, 41 von ihnen auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Eine neue Technik ermöglichte es, jene Abschnitte der DNA zu isolieren, die besonders viele Informationen über die Menschheitsgeschichte enthalten. Prompt entdeckte das Team mehr oder weniger überraschende Wanderungsbewegungen.

Einwanderung aus Südrussland

Die Forscher gehen davon aus, dass es in der Jungsteinzeit zu zwei großen Einwanderungswellen nach Mitteleuropa gekommen ist. Erstens lässt sich aus der großen genetischen Ähnlichkeit der ersten Bauern im heutigen Spanien, Deutschland und Ungarn schließen, dass es vor rund 7500 Jahren in ganz Europa zu einer Zuwanderung aus dem Nahen Osten gekommen sein muss.

Zum Teil verdrängten die Immigranten die in Mittel- und Westeuropa lebenden Jäger und Sammler, zum Teil wurden sie integriert. Zweitens zeigten die Analysen, dass sich vor etwa 4500 Jahren zahlreiche Einwanderer aus dem Süden des heutigen Russland in Mitteleuropa niedergelassen haben dürften.

Alte Sprachdebatte

Diese Wanderungsbewegung könnte aber auch eine neue Wende in der alten Debatte über den Ursprung der indogermanischen Sprachen liefern, bei der sich zwei Theorien gegenüberstehen: Die eine geht davon aus, dass die Ursprache in der russischen Steppe entstand und von dort aus vor 5000 bis 6000 Jahren durch Reiternomaden nach Europa gelangte. Die zweite Hypothese sieht den Ursprung in Anatolien, von wo aus sie sich vor 9500 bis 8000 Jahren zusammen mit der Landwirtschaft ausgebreitet habe.

Kürzlich publizierte linguistische Analysen scheinen die Steppen-Hypothese zu bestätigen, die mit der neuen Studie von Reich und Kollegen Unterfütterung erhält. Allerdings dürfte der Sprachimport um einiges später erfolgt sein, als bisher angenommen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 3.3.2015)