Adriana Altaras (re.) und ihre Tante Jele, die am Gardasee lebt.

Foto: Filmladen

Wien - Die Geschichte mit der Brille ist eine kostbare Familienanekdote: Als Partisan und "Leibarzt" von Marschall Tito habe ihr Vater einst dessen Sehbehelf repariert und so zum glücklichen Ausgang einer Schlacht beigetragen. Das hat man Adriana Altaras stets erzählt - und sie hatte keinen Grund, es zu hinterfragen. Bis sie irgendwann viel später feststellte, dass Tito zu dieser Zeit noch gar keine Brille trug.

Die Eltern der 1960 in Zagreb geborenen Berliner Schauspielerin sind inzwischen verstorben. Altaras, die man aus Filmen von Rudolf Thome oder Dani Levy kennt, hat 2011 ein Buch über ihre Familie veröffentlicht, Titos Brille. Die Geschichte meiner strapaziösen Familie. So heißt auch der Dokumentarfilm, der jetzt ins Kino kommt. Regina Schilling hat ein Roadmovie gedreht, das von Berlin ausgehend die Orte aufsucht, die für die wechselvolle Geschichte der kroatisch-jüdisch-deutschen Familie Altaras (und mütterlicherseits: Fuhrmann) im 20. Jahrhundert relevant waren.

Adriana Altaras ist das quirlige Zentrum, die Reiseführerin, die gern Witze erzählt - manchmal auch, um die Schwere der Ereignisse zu umspielen. (Dass Titos Brille Regie und Team unsichtbar hält und so eine One-Woman-Show simuliert, ist stellenweise irritierend.) Die Fahrt Richtung Balkan führt im geerbten Benz zuerst nach Gießen, wo es die Eltern beruflich sowie mit ihrem Engagement für die jüdische Gemeinde zu einigem Ansehen brachten.

Die Familienchronik von hinten aufzurollen ist eine Entscheidung mit überraschendem Effekt: Weil sich die Geschichte, die man nach und nach erst kennenlernt, dabei auch fortlaufend aufklart und differenziert. Das entspricht dem Erkenntnisprozess der Protagonistin, die etwa vor Ort im Zagreber Staatsarchiv erst erfährt, weshalb ihre Eltern Jugoslawien 1963 wirklich verließen - und sie als Zweijährige zu ihrer Tante Jele an den Gardasee geschmuggelt werden musste.

Bei der Gedenkstätte auf der Insel Rab, wo ihre Mutter, die Tante und die Großmutter Anfang der 40er-Jahre im Konzentrationslager Kampor inhaftiert waren, ist die Reise zu Ende. Der Super-8-Film aus den 60er-Jahren, wo diese drei Frauen in einer blauen Hollywoodschaukel sitzen und die kleine Adriana davor im Planschbecken tanzt, wirken danach noch eindringlicher. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 3.3.2015)