Big Brother auf dem Mars: So stellt sich die Stiftung des niederländischen Unternehmers Bas Lansdorp die Mars-One-Kolonie vor.

Illu.: Bryan Versteeg/Mars One

Der Biologe Richard Dawkins hat Esoterik und Pseudowissenschaft in seinem Buch "Der entzauberte Regenbogen" als einen "Missbrauch des legitimen Gefühls des Staunens" bezeichnet. Im Grunde sind wir Menschen alle neugierig, wollen die Welt verstehen und vor allem von ihr beeindruckt werden. Die Naturwissenschaft ist der organisierte Versuch der Menschheit, genau das zu erreichen. Sie will die Welt nicht einfach nur beobachten und beschreiben, sondern die grundlegenden Phänomene auch verstehen, und in diesem Verständnis liegt ein großes Faszinationspotential, das leider nicht immer auch vermittelt werden kann.

Stattdessen wenden sich viele Menschen den Welterklärungssystemen der Esoterik zu, die den Wunsch nach Faszination ausnutzen und mit oberflächlich beeindruckenden Pseudoerklärungen das von Dawkins angesprochene legitime Gefühl des Staunens nur scheinbar befriedigen. In Wahrheit vernebeln sie den Blick auf die reale Welt, die viel fantastischer ist, als all das, was sich ein Esoteriker ausdenken könnte. Genau darin besteht der "Missbrauch". Und er findet sich leider nicht nur in den irrealen Ideologien der Pseudowissenschaft.

Das Leben geben

Das privat finanzierte Raumfahrtprojekt "Mars One" scheint sich zwar auf den ersten Blick nicht als Thema für einen Artikel in einem Blog über Esoterik und Pseudowissenschaft zu eignen. Aber bei genauer Betrachtung ist "Mars One" genau so ein "Schmarrn" wie Astrologie, Homöopathie und all der andere Unsinn, den ich bisher hier beschrieben habe. Denn auch "Mars One" missbraucht das "legitime Gefühl des Staunens". Die Stiftung des niederländischen Unternehmers Bas Lansdorp will einen der größten Menschheitsträume realisieren: Die Besiedelung unseres Nachbarplaneten Mars. Sie wird diesen Traum allerdings nicht erfüllen können. Das hindert die Stiftung aber nicht, begeisterte Menschen dazu aufzufordern, buchstäblich ihr Leben für diese Mission zu geben.

Die Astronauten, die dabei ins Weltall reisen sollen, werden nicht mehr zur Erde zurückkehren. Der Plan der Stiftung sieht nur einen Flug zum Mars vor, eine Rückkehr ist nicht geplant. Jeder der Astronauten wird sterben, ohne die Erde wieder zu sehen. Das schreckt die Menschen allerdings nicht ab: Laut Angaben von "Mars One" haben sich mehr als 200.000 Kandidaten für diese Reise ohne Wiederkehr beworben. Menschen, die ganz offensichtlich zutiefst von der Möglichkeit fasziniert sind, ihren Fuß auf die Oberfläche eines anderen Planeten setzen zu können, und dafür bereit sind, alle Verbindungen zu ihrer Heimat und ihrer Familie zu kappen. Menschen, deren Faszination für den Weltraum so groß ist, dass sie auch die Aussicht auf ein unbequemes, hartes Leben und einen frühen Tod nicht abschreckt.

Wichtige Visionen

Der Wunsch, ein Pionier zu sein und Teil eines der größten und beeindruckendsten Projekte in der Geschichte der Menschheit zu werden, ist völlig verständlich. Es braucht Visionäre, die große Ideen und Gedanken haben und es braucht Leute, die trotz aller Schwierigkeiten bereit sind, die Gefahren auf sich zu nehmen, um die Visionen real werden zu lassen. Ohne die Neugier und den Entdeckergeist, den wir Menschen in der Vergangenheit gezeigt haben, wären wir nicht dort, wo wir heute sind und ohne Mut und Visionen werden wir auch keine Zukunft haben. Aber mit Träumen und dem Wunsch, ein großes Ziel zu erreichen, ist es allein nicht getan. Es muss zumindest die Möglichkeit geben, die Träume wahr werden zu lassen. Und diese Möglichkeiten hat "Mars One" nicht.

Zum Mars zu fliegen ist nicht einfach. In der Vergangenheit ist fast die Hälfte aller Missionen gescheitert, und diese wurden von professionellen Raumfahrtagenturen durchgeführt und nicht von privaten Unternehmern. "Mars One" will aber nicht nur einen Flug zum Mars durchführen, sondern viele. Bevor sich die ersten Menschen auf den Weg machen, sollen unbemannte Missionen Vorräte und Habitate dort absetzen. Schon 2018 soll ein Erkundungssatellit losfliegen und 2020 ein Rover nach einem Landeplatz für die Kolonisten suchen. Jedes einzelne dieser Projekte wäre für sich alleine schon eine große und komplexe Aufgabe für eine Raumfahrtagentur, die Erfahrung mit Flügen zum Mars hat.

Weder Erfahrung noch Technik

"Mars One" dagegen hat weder Erfahrung noch die nötige Technik. Deswegen will man all die Raketen, Satelliten und Rover auch von externen Firmen bauen lassen. Das zumindest wird von "Mars One" behauptet, denn die mit entsprechenden Konzeptstudien betrauten Unternehmen (Surrey Satellite Technology und Lockheed Martin) berichteten kürzlich, dass es keine Folgeaufträge mehr für den eigentlichen Bau der Hardware gegeben hat. Und selbst wenn das noch passieren sollte, dann werden Satellit und Rover nur Kopien von früheren Projekten wie zum Beispiel dem Phoenix-Lander der NASA sein. Damit lassen sich aber all die vielen Probleme, die ein Langzeitaufenthalt auf dem Mars mit sich bringt, nicht lösen. Eine ausführliche Studie des Massachusetts Institute of Technology hat zum Beispiel gezeigt, dass ein Habitat auf dem Mars nach wenig mehr als zwei Monaten unbewohnbar werden würde, wenn man die (Über)Produktion von Sauerstoff nicht in den Griff bekommt. Außerdem konnte die Studie zeigen, dass "Mars One" die Zahl der nötigen Versorgungsflüge deutlich unterschätzt hat und mindestens 15 Raketen von der Erde aus starten müssten, um all das Material zum Mars zu schaffen.

Auf dem Mars ein Habitat zu schaffen, in dem Menschen dauerhaft autark leben können, dabei genug Luft zum Atmen und genug Nahrung zum Essen haben und noch dazu vor der gefährlichen kosmischen Strahlung geschützt sind, ist nicht trivial. Dafür müssen viele Probleme gelöst werden, für die bis jetzt noch keine Lösung existiert. Es muss viel grundlegende Forschungsarbeit geleistet werden, die viel Geld kostet und viel Zeit braucht. Aber die Mission wird schon viel früher Probleme bekommen. Der Raumfahrtexperte Michael Khan fragt zum Beispiel, wie denn die Pläne von Mars One zur Missionskontrolle aussehen? Wo wird sich die Bodenstation befinden und wer wird die nötige Technik dafür bereitstellen? Wo wird das qualifizierte Personal für die Betreuung herkommen? Wie will man sicherstellen, dass wirklich alle unbemannten Versorgungsflüge ihr Material und die Habitate zum gleichen Ort auf der Oberfläche liefern und nicht so weit verstreuen, dass die Astronauten damit nichts anfangen können?

Missbrauchte Faszination

Die veröffentlichten Pläne von "Mars One" sind äußerst vage, was all diese technischen Fragen und Details angeht (sofern sie überhaupt erwähnt werden). Sie sind ebenso vage, wenn es um die Finanzierung des Projekts geht. Die nötige Summe (die mit sechs Milliarden Dollar auch viel zu niedrig angesetzt ist) soll über die Vermarktung einer Fernsehsendung aufgebracht werden, die die Auswahl der Kandidaten, ihr Training und später ihr Leben am Mars zeigt. Der dafür vorgesehene Kooperationspartner Endemol ist vor wenigen Tagen aber ebenfalls abgesprungen. "Mars One" hat also weder das Geld, noch das nötige Wissen und die nötige Technik um irgendetwas zum Mars zu bringen, geschweige denn Menschen! Das Projekt hat bis jetzt nur jede Menge Rummel in der Öffentlichkeit erzeugt und knapp eine Viertelmillion Dollar an Spendengeldern eingenommen. Aber es gibt nicht die geringsten Anzeichen, dass die großen Visionen realisiert werden können, und schon gar nicht im angegebenen Zeitplan.

Ignoriert man die moralische Fragwürdigkeit einer Mission, die Menschen wissentlich in den Tod schickt, dann bleibt "Mars One" immer noch ein Projekt, das einen großen Traum präsentiert aber nichts dafür tut, dass dieser Traum nicht an der harten Realität zerbricht. Darin besteht der "Missbrauch des legitimen Gefühls des Staunens". Träume sind wichtig. Aber den Menschen einzureden, sie könnten sich ihren Traum erfüllen, ohne etwas zu unternehmen, dass das auch geschehen kann, ist unredlich. All die Menschen, deren Faszination für den Weltraum so groß ist, dass sie ihr Leben opfern und ihre Familien für immer verlassen wollen, werden früher oder später zwangsläufig enttäuscht werden. Ein bemannter Flug zum Mars ist ein wichtiges und auch ein richtiges Ziel! Es ist etwas, das wir Menschen auf jeden Fall versuchen sollten. Aber wir müssen es richtig versuchen und richtig darauf vorbereitet sein. "Mars One" ist das nicht. Das unvermeidbare Scheitern dieser Mission und die darauf folgende Enttäuschung all der zu Recht faszinierten Menschen wird es für alle ernsthaften Versuche danach umso schwerer machen, die nötige öffentliche Unterstützung zu bekommen. (Florian Freistetter, derStandard.at, 3.3.2015)