Wien - Die Achtzigerjahre sind lange her. Dieser Eindruck ließ sich gewinnen, als ein vielgepriesenes Musikstück aus dieser Zeit wieder einmal auf dem Prüfstand stand. Das Violinkonzert Offertorium von Sofia Gubaidulina galt damals als eine Art Nonplusultra zeitgenössischen Komponierens: mit der Vergangenheit verbunden und dennoch gegenwärtig.

Inzwischen - so das Ergebnis der Probe aufs Exempel an einem Abend mit dem NDR Sinfonieorchester im Konzerthaus - hat sich das Werk überlebt. Zwischen Bach-Zitaten und schreiender Expressivität wirkt es merkwürdig ziellos und unverbindlich. Das lag nicht an der Interpretation: weder an der zupackend-eigensinnigen Patricia Kopatchinskaja noch am tadellosen Orchester. Erst nach der Pause lief der Klangkörper allerdings zu Höchstform auf.

Gustav Mahlers 1. Symphonie in der "Hamburger Fassung" verdient mehr als nur historisches Interesse - wegen Details der Instrumentation, aber auch wegen des ursprünglichen, später getilgten zweiten Satzes Blumine. Vor allem macht der Vergleich mit der bekannten Version deutlich, wie viel Mahler gestrafft hat. Dirigent Thomas Hengelbrock legte sich allerdings für die frühe Form unter dem Titel Titan ins Zeug, als gäbe es keine andere:

Nach einigen Schreckminuten mit viel zu lauten Pianissimo-Einsätzen und einer Unentschlossenheit, die über jene hinausging, die im Werk selbst angelegt ist, fand er zu einem überzeugenden Gestus, kostete gerade das Zögernde aus, ohne dass die Sache statisch wurde. Mit voller Wucht, aber ohne Auftrumpfen ballte sich das Scherzo zusammen; fahl und brüchig der Totenmarsch, der normalerweise an dritter Stelle steht. Tatsächlich schienen infernalische Kräfte im Finale am Werk zu sein, als sich das Orchester an der Klippe zur Katastrophe zu befinden schien und so manches Risiko auf sich nahm. Das wirkte so, als seien die Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts der Gegenwart näher als so manches andere. (Daniel Ender, DER STANDARD, 2.3.2015)