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Die Ginsterkatze (Caroline Peters) schlägt die Feuerglocke, denn im Dschungel brennt es. Antilope (Sabine Haupt) und Zebra (Oliver Stokowski) werden alsbald das Weite suchen - in Roland Schimmelpfennigs "Das Reich der Tiere"

Foto: APA/BURGTHEATER/GEORG SOULEK

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Überlebenskampf von Ginsterkatze (Caroline Peters), Zebra (Oliver Stokowski), Marabu (Peer Knaack) und Löwe (Johann Adam Oests), v. li.

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Wien - Wie spielt man ein Spiegelei? Der Schauspieler Peter (Johann Adam Oest) hat sich schon seine Gedanken gemacht. Er legt sich rücklings auf die Bühne, zieht das Hemd hoch und bläht seine nackte Bauchdecke zu einer schönen rundlichen Dotterhalbkugel auf. Mehr Spiegelei geht nicht. Auch wenn die Theaterleitung hinsichtlich dieser "Rolle" ganz andere Vorstellungen hat. In Roland Schimmelpfennigs Tragikomödie Das Reich der Tiere soll die seit Jahren laufende Tiershow abgesetzt werden, sollen die Schauspieler künftig nur mehr Gegenstände verkörpern.

Versteckt in wuchtigen Kostümen werden Peter, Dirk, Isabel, Sandra und Frankie alsbald Toastbrot, Pfeffermühle und Ketchupflasche "interpretieren". Am Ende werden nur mehr hilflose Hände an den Rändern dieser Monsterskulpturen herausschauen und sich hinter Sehschlitzen Augäpfel ängstlich bewegen. Der Schauspielertrupp wird alles mit sich machen lassen, schließlich geht es um die Existenz jedes Einzelnen. Sie kämpfen bis zur Selbstverleugnung um ihren Arbeitsplatz, und sie beginnen aus Konkurrenzangst brutal gegeneinander zu opponieren. Eine von ihnen wird gar ihr Kind weggeben.

Mit Haut und Haaren

So funktioniert die neoliberale Wettbewerbsgesellschaft, in der sich Arbeitnehmer auf ganz höfliche Weise und "aus freien Stücken" selbst versklaven (lassen), in der sie sich mit Haut und Haaren der Selbstoptimierung verschreiben. "Haut und Haare" hat Schimmelpfennig in seiner Kapitalismuskritik wörtlich genommen und diese als Fabel angelegt: Fünf Schauspieler verwandeln sich auf der im Hintergrund mit spritzsicheren Duschwänden begrenzten, sonst luftigen Bühne (Wilfried Minks) in Löwe, Zebra, Marabu, Ginsterkatze und Antilope. Sie kleistern sich Farbe und Federn auf ihre Körper und treten nach vor an die Rampe, um dort ihre Dschungel-Show zu spielen, den Wettkampf zwischen Löwe (Oest) und Zebra (Oliver Stokowski) um den Königstitel.

Schimmelpfennig, der sein bereits 2007 von Jürgen Gosch uraufgeführtes, trist-vergnügliches Backstage-Stück nun am Akademietheater selbst inszeniert, deutet Bilder nur an, erzeugt Stimmungen: das warme Licht der Steppensonne, das Zirpen in der heißen Luft, Glockenklänge bei der Tierversammlung. Besonders erhaben wirkt es immer, wenn Sabine Haupt die großen, schweren Antilopenhörner in die Höhe ragen lässt. Und selbst wenn das Zebra mit den Mitteln von Ritter der Kokosnuss arbeitet: die Ernsthaftigkeit ihres Tuns wird nie infrage gestellt. Manchmal fehlt aber Tempo in den zwischen "Bühne" und "Backstage" wechselnden Szenen, vor allem am Ende des ersten Akts. Straffung hätte gutgetan.

Blutige Zehen

Mit dem zweiten Akt, in dem der Zebra-Schauspieler Frankie in der eigenen Privatwohnung den Autor und Regisseur (Philipp Hauß) zur Rede stellt, nimmt der Abend wieder Fahrt auf. Und da kann das ungeschminkte Gesicht von Oliver Stokowski seine volle Kraft entfalten: Es zeigt das betreten und widerwillig zustimmende Lächeln eines hierarchisch Unterlegenen, dessen versteckte Nervosität in der Stimme und auch die angespannte, im Inneren des Körpers schon heimlich tanzende Freude desjenigen, der längst beschlossen hat, aus dem Ganzen auszubrechen.

Während bei seinen Kollegen die Maskenwunden eitern (Peter Knaack als Marabu) oder die Zehennägel in den engen Pumps bluten (Caroline Peters als Ginsterkatze), macht sich Frankie auf nach New York.

Das Reich der Tiere ist ein menschlicher Befreiungsschlag mit animalischen Mitteln, die man nicht verkennen sollte (manche denken irrtümlich, Fabeln seien nur für Kinder gedacht). Lang anhaltender Applaus. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 2.3.2015)