Der bulgarische Staatsbürger und seine Sympathisanten geben von heute an und für einige Wochen auch auf internationaler Bühne ihre Identität preis. Leicht erkennt man sie an rot-weißen Wollbändern und -schleifen, die aus Sakkoärmeln lugen oder an den Revers von Jacken und Blusen befestigt sind. Taxifahrer in Wien tun es, Diplomaten, die mit bedeutungschwerem Blick an den Konferenztischen dieser Welt sitzen, Surfbrett-Fachhändler in Brisbane, Australien. Alles Bulgaren im Frühlingsrausch.

Die Martenizi, die „Märzchen“, wie sie heißen, werden zum Ersten dieses Monats unter die Menschen gebracht. Man erwirbt sie entweder im ambulanten Handel auf der Straße in Bulgarien für modeste Preise zwischen 20 und 80 Stotinki (zehn bis 40 Cent) oder fertigt sie in Heimarbeit an, wobei neben den Wollknäueln (rot und weiß) lediglich eine Bankkarte oder auch nur die Finger anderer Mitwirkender vonnöten sind.

Die Karte dient als Wickelstation für die Herstellung kleiner Marteniza-Figuren – Männlein weiß, Weiblein rot, Pischo und Penda geheißen, und bereits eine fortgeschrittene Form der Frühlingsboten –, wohingegen die Schleifen und Bänder im sogenannten Zwirbelverfahren entstehen, bei dem ein weißes und ein rotes Wollstück aneinandergeknotet mit den Fingern in verschiedene Richtungen gedreht werden, sodass wir am Ende einen ordentlich gespannten Wollfaden erhalten, welcher sich, einmal losgelassen, auf das Vortrefflichste zu einer rot-weißen Spirale verwurstelt.

"Tschestita Baba Marta"

Man mag einwenden, dass der Frühlingsbeginn auf dieser Halbkugel astronomischen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und unwiderruflich auf den 21., keinesfalls auf den 1. März fällt. Dem kleinen Volk der Bulgaren ist das blunzn. So lange will es nicht warten, schließlich sind die Winter im Land entweder kalt und garstig oder superkalt und garstig, und das Leben ist im allgemeinen schlimm genug: In internationalen Rankings der unglücklichsten Nationen rangieren die Bulgaren bekanntlich stets auf den allervordersten Plätzen. Zum 1. März wünscht man sich deshalb "Tschestita Baba Marta", einen Glückwunsch für die Großmama März, die als launisch beschrieben wird und nach wenigen Tagen lauer Luft in diesem Monat gern wieder den vermaledeiten Schnee schickt.

Von den Martenizi braucht man eine gehörige Menge. Sie müssen an Verwandte und Freunde verteilt und verschickt werden. Erwartet wird im Prinzip, dass alle rot-weißen Schnürln und Puppen getragen werden, was allerdings in der Menge etwas wild ausschaut und deshalb eher unter Schülern anzutreffen ist und Großeltern, die bereits wieder mit sanfter Kindlichkeit gesegnet sind.

Eine konsistente historische Erklärung für diesen Brauch kriegt man heutzutage nicht mehr. Alt ist er jedenfalls, so um die 1300 Jahre vielleicht sogar und auch in Rumänien und Moldau anzutreffen (die Bulgaren sagen natürlich: der dortigen Bulgaren wegen). Am Ende steht dann doch schlicht der Wunsch des Menschen nach Grün, und davon gibt es in Bulgarien überaus viel, wenn nur endlich dieser Winter vorbei wäre. Bei Sichtung eines Storchs oder in Ermangelung desselben auch nur einer Knospe am Baum wird die Marteniza wieder abgelegt und an einen Ast gehängt, wo sie dann den Rest des Jahres baumelt mit Hunderttausenden anderen. (Markus Bernath, derStandard.at, 1.3.2015)