Boris Nemzow 1959 - 2015.

"Reformen beginnt man dort, wo das Geld ausgegangen ist", sagte Boris Nemzow einmal. Russlands geldlose Zeiten hat der Oppositionspolitiker zur Genüge kennengelernt. Geboren 1959 in Sotschi, sattelte der studierte Physiker in der Perestroika-Zeit von der Wissenschaft in die Politik um: 1990 wurde er Abgeordneter im Obersten Sowjet, ein Jahr später ernannte ihn Boris Jelzin zum Verwaltungschef des Schwerindustriezentrums Nischni Nowgorod.

Der junge Gouverneur machte sich einen Namen als Reformer. Nischni Nowgorod – das ehemalige Gorki – hatte schwer unter dem Zusammenbruch der sowjetischen Planwirtschaft zu leiden. Die großen Rüstungsbetriebe und Maschinenbauer waren von chronischem Geldmangel geplagt. Mit der Wiederbelebung der Messe, der Stützung des Wolga-Produzenten Gaz und einer erfolgreichen Bodenreform sicherte sich Nemzow in der Bevölkerung Popularität, so dass er 1995 wieder gewählt wurde.

Vizepremier

Den Höhepunkt seiner Karriere erlebte Nemzow 1997, als er zum Vizepremier der russischen Regierung berufen wurde. Verantwortlich für die Wohnungswirtschaft und den Energiesektor galt der damals 40-Jährige eine Zeitlang sogar als Favorit bei möglichen Präsidentenwahlen.

Sein Rating fiel allerdings schnell, auch wegen einiger Fehlentscheidungen im Energiebereich. Als Russland ein Jahr später mit dem Default den Tiefpunkt seiner wirtschaftlichen Entwicklung erreicht hatte, trat auch Nemzow mit der gesamten Regierung zurück – obwohl Jelzin ihn angeblich halten wollte.

Parteigründer

Anschließend versuchte sich Nemzow am Aufbau einer liberalen Partei. Mit der "Union der Rechten Kräfte" (SPS) zog er 1999 in die Duma ein, scheiterte aber 2003. Kritiker warfen ihm später vor, dass er mitverantwortlich für die Spaltung der Liberalen in Russland sei und so deren politischen Niedergang mit verursacht habe.

Anfangs noch ein Unterstützer Wladimir Putins ging er schnell in Opposition zum russischen Präsidenten. Nemzow kritisierte massive Rückschritte im Demokratisierungsprozess und die weiter grassierende Korruption in Russland. In der Ukraine engagierte er sich eine Zeitlang als Berater von Präsident Viktor Juschtschenko.

2009 versuchte der Politiker einen Neustart in Russland. Bei der Wahl um das Bürgermeisteramt in Sotschi – damals schon zum Olympiastandort auserkoren – beklagte der lebenslustige Nemzow eine beispiellose Schmutzkampagne gegen sich. Er verlor gegen den vom Kreml favorisierten Amtsinhaber Anatoli Pachomow.

Kritiker und Oppositioneller

Zwei Jahre später, nach den umstrittenen Duma-Wahlen, war er einer der Organisatoren der Proteste gegen die Kremlpartei "Einiges Russland" und Präsident Wladimir Putin. Mehrfach wurde er wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet. Innerhalb der Opposition verlor er aber gegenüber der neuen, durch die 90er Jahre weniger belasteten Generation zunehmend an Einfluss. Mit dem Einzug in die Jaroslawler Gebietsduma gelang ihm 2013 immerhin ein Mini-Comeback.

Nach Ausbruch der Krim-Krise kritisierte Nemzow die russische Politik gegenüber der Ukraine scharf. Im September 2014 unterschrieb er einen Aufruf, "das aggressive Abenteuer zu beenden, die russischen Truppen von ukrainischem Territorium abzuziehen und die propagandistische, materielle und militärische Hilfe für die Befürworter der Donezker und Luhansker Volksrepubliken einzustellen."

Laut Nemzows Anwalt Wadim Prochorow hat der Politiker in den letzten Monaten Drohungen über soziale Netzwerke erhalten. "Wir haben sogar eine Anzeige gestellt, aber es gab keine Reaktion darauf", sagte Prochorow, der allerdings einräumte, dass die Drohung wohl nicht von den tatsächlichen Killern ausging. Am Freitagabend wurde er auf offener Straße in Moskau erschossen. (André Ballin aus Moskau, derStandard.at, 28.2.2015)