In den 1950er Jahren führte der sowjetische Chirurg Wladimir Demichow Kopfverpflanzungs-Experimente mit Hunden durch. Mehr als ein halbes Jahrhundert später behauptet ein italienischer Neurochirurg, dass die Transplantation menschlicher Köpfe schon in wenigen Jahre Realität werden könnten.

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Turin/Wien - Seit Christiaan Barnard und Hamilton Naki am 3. Dezember 1967 in Kapstadt erstmals ein menschliches Herz transplantiert haben, ist auf dem Gebiet der Organverpflanzung viel passiert. Mittlerweile scheint es nur mehr eine letzte Grenze zu geben - und es hat den Anschein, als würde ein Chirurg auch diese bald schon überschreiten wollen: Der italienische Neurowissenschafter Sergio Canavero von der Turin Advanced Neuromodulation Group meint, dass es inzwischen an der Zeit ist, menschliche Köpfe zu transplantieren. In spätestens zwei Jahren sollen die mit einem solchen Unterfangen verbundenen medizinischen Probleme gelöst sein, ist er überzeugt. Andere Wissenschafter sehen das allerdings deutlich skeptischer.

Canavero und seine Mitarbeiter stellten entsprechende Pläne erstmals 2013 vor. Das Projekt mit der Bezeichnung Head Anastomosis Venture with Cord Fusion, kurz: HEAVEN, soll nach Angaben des Wissenschafters vor allem Menschen helfen, die an degenerativen Erkrankungen der Muskulatur und der Nerven oder Krebs leiden. Das Geld dafür soll zum Teil per Crowdfunding gesammelt werden.

Die größten Herausforderungen bei einem solchen Eingriff sind - abgesehen von den ethischen Fragen - eine funktionierende Verbindung der beiden Rückenmarksenden zu schaffen und das Immunsystem des Körpers davon abzuhalten, den Kopf wieder abzustoßen. Nun hat Canavero verkündet, dass beide Hürden bis 2017 überwunden werden könnten. Die konkreten Pläne will der Forscher bei der Jahreskonferenz der American Academy of Neurological and Orthopaedic Surgeons (AANOS) in Annapolis, Maryland, im kommenden Juni vorstellen.

Erste Tierversuche

Erste Tierversuche, die - wenn man so will - einigermaßen von Erfolg gekrönt waren, führte der sowjetische Chirurg Wladimir Demichow 1954 an Hunden durch. Der Transplantationspionier verpflanzte den Kopf und die Vorderbeine eines Welpen auf den Rücken eines ausgewachsenen Schäferhundes. Die bedauernswerten Geschöpfe überlebten allerdings nur wenige Tage. Ähnlich Versuche wurden auch in den USA durchgeführt. So verband Robert White von der Case Western Reserve University School of Medicine in Cleveland, Ohio, den Kopf eines Affen mit dem Körper eines anderen. Das Tier erlitt dadurch zwar eine hohe Querschnittlähmung, weil das Rückenmark unterbrochen blieb. Dennoch überlebte der Affe bei vollem Bewusstsein neun Tage lang, ehe eine Immunreaktion schließlich das fremde Gewebe abstieß.

Die Transplantationsmedizin hat seither bedeutende Fortschritte gemacht, Canavero glaubt daher, dass der erfolgreichen Verpflanzung eines Kopfes eigentlich nichts mehr im Wege steht. Insbesondere immunsuppressive Therapien seien mittlerweile auf einem Niveau, die einen solchen Eingriff ermöglichen würden, meint er. In einer nun im Fachblatt "Surgical Neurology International" veröffentlichten Arbeit stellt der Forscher vor, wie das konkret bewerkstelligt werden könnte.

Sauberer Schnitt

Zunächst müssten die Körpertemperaturen von Kopf und Spenderkörper erheblich heruntergefahren werden, um die Lebensdauer des Gewebes ohne Sauerstoffzufuhr zu verlängern. Im nächsten Schritt werden die größeren Blutgefäße durchtrennt; jene des Kopfes müssten dann mit den Gefäßen des Körpers mittels dünner Schläuche verbunden werden. Schließlich erfolgt die Durchtrennung des jeweiligen Rückenmarks. Ein sauberer Schnitt sei dabei laut Canavero von entscheidender Bedeutung.

Bei der Verbindung der Rückenmarksfasern setzen die Forscher auf Polyethylenglycol, das heute vor allem in der Kosmetikindustrie Verwendung findet. Die Substanz soll die Chance beträchtlich erhöhen, dass die Nervenenden eine funktionsfähige Verbindung eingehen. Versuche deutscher Forscher mit Ratten und Mäusen haben im Vorjahr bewiesen, dass die Methode zumindest teilweise funktioniert. Abschließend werden Muskulatur und Gefäße wieder zusammengefügt. Um Bewegungen während des Heilungsprozesses zu verhindern, soll der Patient drei bis vier Wochen im Koma bleiben, währenddessen implantierte Elektroden das Rückenmark stimulieren. Die Forscher glauben, dass dies die Nervenverbindungen zusätzlich kräftigen könnte.

Canavero und sein Team sind davon überzeugt, dass der Patient bereits kurz nach dem Erwachen zu ersten Bewegungen fähig sein wird. Physiotherapie soll schließlich dazu führen, dass der Patient binnen eines Jahres wieder gehen könnte. Berufskollegen sind allerdings mehr als skeptisch, dass derartiges in absehbarer Zeit möglich sein wird.

Mediziner-Kollegen mehr als skeptisch

Richard Borgens, Direktor des Paralyse-Forschungszentrums an der Purdue University in West Lafayette, Indiana, weist die Vorstellung einer baldigen erfolgreichen Kopfverpflanzung weit von sich. "Es gibt keine Beweise dafür, dass eine Verbindung von Rückenmark und Gehirn nach einer Kopftransplantation zu sinnvollen sensorischen oder motorischen Funktionen führt", erklärt er in "New Scientist". Andere Mediziner wollten sich zu dem Thema gar nicht erst äußern. Allein schon die Idee sei "zu jenseitig", um ernsthaft und seriös darüber zu urteilen.

An Interessierten dürfte es nicht mangeln. Laut Canavero hätten sich bereits zahlreiche Freiwillige gemeldet, die auf einen neuen Körper erpicht sind. Ob es tatsächlich soweit kommen wird, hängt allerdings nicht allein von der medizinische Machbarkeit ab. Der ethische Aspekt eines solchen Unterfangens könnten dem italienischen Neurochirurgen Probleme bereiten, ein Land zu finden, das einer Kopftransplantation letztendlich die Erlaubnis erteilt. (tberg, derStandard.at, 1.3.2015)