Der Frühling von Europas neuer Linker dauerte nur vier Wochen. Der Wahlsieg der Syriza wurde damals in vielen europäischen Hauptstädten als Wendepunkt und Neuanfang der EU-Wirtschaftspolitik gefeiert. Nun, da die griechische Regierung der Verlängerung des alten Hilfsprogramms mit nur geringen sozialen Abfederungen zugestimmt hat, ist wieder Ernüchterung eingekehrt.

Man mag das rasche Einknicken von Premier Alexis Tsipras als Folge der Übermacht der Europartner oder der Angst vor den Folgen eines Euroaustritts sehen. Doch der griechische Kurswechsel passt in ein größeres Bild: Nirgendwo in Europa wird dezidiert linke Politik gemacht. Die wenigen sozialdemokratisch geführten Regierungen folgen vielmehr dem Beispiel des "Dritten Wegs" - jener einst von Tony Blair und Gerhard Schröder propagierten Wirtschaftsfreundlichkeit mit einem sozialen Antlitz.

Das gilt vor allem für die französische Regierung unter Manuel Valls und seinem Wirtschaftsminister Emmanuel Macron, deren Hauptziel die Liberalisierung der Wirtschaftsstrukturen ist, um Wachstum anzukurbeln und Arbeitslosigkeit zu verringern. Einen anderen Weg hat Frankreich nicht: Neue Schulden zur Konjunkturbelebung kann es wegen seiner Defizite nicht machen, und der Versuch, sich Geld über Reichensteuern zu holen, kostete Jobs und Wachstum.

Auch die Reformpolitik von Matteo Renzi in Italien folgt dem Modell Blair. Wer mehr soziale Gerechtigkeit will, muss Wirtschaft und Unternehmertum fördern, das war die Devise des "New Labour"-Chefs. Denn nur die Marktwirtschaft bringe Arbeitsplätze und jene Steuereinnahmen, die der Staat für bessere Sozialsysteme benötigt.

Blair und Schröder, der gegen massiven Widerstand in der SPD die Agenda 2010 durchsetzte, machten dabei einen Fehler: Sie ließen den Finanzmärkten zu viel Spielraum, sodass diese in den Strudel der US-Finanzkrise hineingerieten. Nach 2008 witterten die echten Linken daher Morgenluft: Nun würde man nicht nur die Banken zügeln, sondern die gesamte Wirtschaft, durch strenge Auflagen und höhere Steuern.

Tatsächlich wurden die Banken strikter reguliert, wenn auch aus Sicht linker Kritiker zu wenig. Aber die Krisenbewältigung bewegte sich bald in eine andere Richtung: Wachstumsimpulse durch Strukturreformen, also vor allem durch Deregulierung und Entlastung der Wirtschaft.

Sozialdemokratische und konservative Regierungen unterscheiden sich darin in der EU kaum. Die einzige, die etwas ausschert, ist die deutsche Koalition unter Angela Merkel, die mit Mindestlohn, Rente mit 63 und Mietenbremse weiter links agiert als etwa Frankreich und Italien. Sie kann sich diese Politik dank der starken Wirtschaft derzeit zwar leisten, schwächt aber nach Meinung vieler Experten die zukünftige Wachstumsdynamik.

Syriza hat diese Freiheit nicht, und auch in Ländern wie Österreich ist der Spielraum eingeschränkt. Das macht die marktorientierte Strukturpolitik des Dritten Wegs wieder so aktuell.

Und weil die Ausgangslage heute schwieriger ist als vor zehn Jahren, müssen die Reformen tiefer gehen. Was bei Syriza hoffnungsvoll stimmt, ist ihre Bereitschaft, die monopolistischen und korrupten Strukturen der griechischen Wirtschaft zu bekämpfen. Wenn sie sich darauf konzentriert statt auf unfinanzierbare Sozialleistungen, dann kann auch sie zu einer erfolgreichen Reformkraft werden. (Eric Frey, DER STANDARD, 26.2.2015)