Bei einem Heimatbesuch wecken nicht nur alte Fotos Erinnerungen: Der inzwischen greise Vater von Frau Xie Feiru erzählt, er habe sie "Feiru", "Fliegen", genannt, damit sie in die Welt hinausgehe.

Foto: Plaesion

Wien - In Österreich kriegen Chinesen schneller weiße Haare: Das ist eine neue Erkenntnis, der Herrenfriseur scherzt aber nur mit seinem Kunden. Die Szene passt trotzdem gut in einen Dokumentarfilm, der schon in seinem Titel die Dinge in Bewegung bringt, eine Perspektive umkehrt.

China Reverse ist die erste Regiearbeit von Judith Benedikt. Die junge österreichische Filmemacherin beschreibt in einem Statement im Presseheft die Rückkehr von ihrer ersten Chinareise vor elf Jahren als eine Art Initialmoment dafür, sich näher mit den chinesischen Zuwanderern in Wien zu beschäftigen. Ihr Film, dem viele Recherchen vorausgingen, ist nun auf drei Personen, zwei Frauen und einen Mann, konzentriert - alle arbeiteten zunächst in der Gastronomie, eingewandert sind sie in den 1980er-Jahren.

Österreich war damals nicht unbedingt das Traumziel - vor allem, so erzählt zum Beispiel Frau Hu Jinzhu, wollte man der großen Armut entkommen. Sie selbst hatte nichts bei sich außer ein bisschen Kleidung und einer Daunensteppdecke - und sie hatte als Anlaufstelle eine bereits in Wien ansässige Schwester, in deren (auch heute noch bestehendem) China-Restaurant sie Arbeit fand.

Regisseurin Benedikt, die an der Wiener Filmakademie bei Christian Berger Kamera studiert hat und unter anderem in Nordkorea Brigitte Weichs preisgekrönten Dokumentarfilm Hana, dul, sed (2009) fotografierte, hat diese Funktion auch diesmal übernommen - und so möglicherweise noch größere Nähe zu ihren Protagonistinnen und Protagonisten erreichen können.

Import, Export

Sie folgt diesen in Restaurantküchen und nach Hause ins Wohnzimmer. Zum Termin mit einer Gruppe von Geschäftsleuten aus China, denen Herr Shan Jiaqian die Kaffeekultur schmackhaft machen möchte - Schönbrunn-Visite inklusive. Auf die Baustelle eines seiner Asia-Schnellrestaurants. Oder ins "China-Zentrum" an der Wienzeile, in dessen Kellergeschoß Beratungsgespräche für Neuankömmlinge und Deutschkurse angeboten werden.

Aber Benedikt schwenkt auch nach Qingtian in der südchinesischen Provinz Zheijang, einer der Orte, aus dem ein großer Teil der Expats (nicht nur) in Wien stammt: "eine eher kleine Provinzstadt" mit rund einer halben Million Einwohner und imposanten Hochhausanlagen, die einen Flusslauf säumen. Die Leute von dort seien hart im Nehmen, gute Arbeitskräfte. In Österreich habe man erst gelernt, dass man auch leben müsse, nicht sieben Tage die Woche arbeiten - das ist in Variationen öfter zu hören.

Im Gespräch mit einer älteren Einheimischen, mit der sie seit 24 Jahren in Mistelbach zusammenwohnt, sagt Frau Xie Feiru einmal, diese habe ihr geholfen, sich gut zu "intri, intre ..." - wie heißt nur das Wort? Mit dem "Volk" habe sie Frau Xie halt zusammengebracht und mit der österreichischen Kultur, meint die Nachbarin. Man einigt sich schließlich auf: "Du bist eine große Hilfe für mich."

Wechselbeziehungen

Einblick in eine Lebenswelt zu bieten, die für gewöhnlich nur ihm Rahmen von Restaurantbesuchen oder Einkäufen wahrgenommen wird, das leistet China Reverse auf sehr einfühlsame Weise und gleich mehrfach: Bei ihren Heimataufenthalten und Familienbesuchen finden die Auswanderer heute ein ganz anderes China vor als jenes verarmte Land, das sie einst verlassen haben. Und sie werben bei ihren zu Wohlstand gekommenen alten Freunden für österreichische Produkte und Lebensart.

Und ganz beiläufig rückt der Film auch schon die nächste Generation ins Bild: In Wien geboren und gut ausgebildet, polyglott - und schon mit dem nächsten Ziel vor Augen. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 26.2.2015)