Trommeln, bis die Hautfetzen fliegen: J. K. Simmons - im Bild mit Zögling Andrew Neyman (Miles Teller) - brachte seine Rolle als unbarmherziger Musiklehrer Terence Fletcher soeben einen Oscar ein.

Foto: Sony

Wien - Das Schlagzeugsolo hat - als künstlerische Gattung - keinen allzu guten Ruf. Es steht im Verdacht, das Ensemblespiel an einen Egotrip zu verraten. Die Zuständigkeit für den Beat wird aufgekündigt zugunsten eines Wirbels, dem niemand folgen kann.

Doch wer wollte es den Trommlern verdenken? Sie sind schließlich auch nur Menschen, und keine Rhythmusmaschinen. In Damien Chazelles Film Whiplash führt das zu dem dramatisch vermutlich am stärksten aufgeladenen Schlagzeugsolo der Filmgeschichte. Und doch bleibt danach, da ist die Geschichte schon zu Ende, noch eine Frage: War das jetzt großer Jazz? Oder doch nur ein schlechter Exorzismus?

Ob der Jazz noch einmal einen neuen Charlie Parker oder einen neuen Louis Armstrong hervorbringen kann, das ist das wesentliche Thema in diesem Drama um die richtige Pädagogik, mit der aus einem "guten Job" ein großer künstlerischer Akt werden kann.

Zwei Figuren stehen einander in diesem Bildungsdrama, das manchmal Züge einer Tortur annimmt, gegenüber: Andrew Neyman (Miles Teller), 19 Jahre alt, ein Frischling an der renommierten Shaffer-Musikschule in New York; und Terence Fletcher, ein alter Hase, der die Minderkönner in seinen Ensembles gnadenlos bloßstellt.

Präzis synkopierte Wirbel

J. K. Simmons hat für diese Rolle eines mit Obszönitäten um sich werfenden Fanatikers (das ganze Gegenteil der väterlichen Milde, mit der man ihn aus Juno in Erinnerung haben könnte) gerade einen Oscar bekommen, dazu gab es auch noch besten Schnitt (Tom Cross) und beste Tonmischung.

Das mit dem Schnitt macht Sinn, denn eine der künstlerischen Errungenschaften von Whiplash ist eben die Art und Weise, wie der Film in die Fugen der Musik eindringt, wie die Bilder selber immer wieder in einen präzis synkopierten Wirbel verfallen.

Dabei kommt allerdings nicht viel mehr zum Ausdruck, als dass es bei dieser Form von Jazz um eine Mischung aus Routine und Virtuosität handelt, bei der unklar ist, wo denn der eigentliche Jazz beginnen könnte. Dass der Ausweg in die Rockmusik so ziemlich das Verachtenswerteteste ist, was einem Shaffer-Zögling freisteht, macht zwischendurch ein Plakat deutlich, das Andrew in seinem Zimmer aufgehängt hat. Andrew verehrt Buddy Rich, und ohne Blut an den Fingern gibt es keinen "Bird" (der allerdings Saxofon spielte). So ist die Logik des Films. Die längste Zeit bleibt in Whiplash trotzdem unklar, warum dieser Fletcher das Studium der Musik offensichtlich mit einem Trainingscamp für Vietnam verwechselt, also mit einem Basic Training ältester Schule, das mit Demütigungen beginnt und mit Quälerei noch nicht endet.

Auch bei Andrew lässt Damien Chazelle durchaus offen, woher seine Bereitschaft kommt, sich diesem Regime zu unterwerfen, sieht man einmal von einer notdürftig mitgelieferten Vorgeschichte mit einer früh verschwundenen Mutter ab.

Mit Küchenpsychologie kommt man nämlich nicht weit, wenn man an das Absolute des Jazz heranwill. Und darunter mag es Chazelle nicht tun. Er muss dazu aber auch ein soziales Problem ausblenden, das in Whiplash geradezu überdimensional wird: Wie soll eine New Yorker Eliteschule, selbst wenn sie einen Sadisten als Lehrer hält, den Schritt aus dem Akademismus ermöglichen?

Das vermag Chazelle keineswegs überzeugend zu klären, es wird nicht einmal ganz klar, ob ihm dieses Problem bewusst ist, dass er hier für weißes Bildungsbürgertum (wie man es einmal in einem Zwischenschnitt auf das Publikum bei einem Schlagzeugsolo sieht) eine Art tigerväterliches Exerzitium zweier weißer Männer inszeniert, in dem der Jazz aus dem Drill kommen soll.

Das ist eine seltsame Verschiebung der sozialen Umstände, aus denen einst der Jazz entstand, von dem Andrew Neyman träumt, ohne dass auch nur eine Sekunde klar wird, ob er davon auch nur die geringste Ahnung hat. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 25.2.2015)