Bert Fragner kann dem neuen Islamgesetz nicht viel abgewinnen. Er empfiehlt Politikern, von "Banalitäten wie der Kopftuchdebatte" abzurücken.

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STANDARD: Mit dem Islamgesetz von 1912 gab es in Österreich in der Monarchie schon früh gesetzliche Regelungen für Muslime – wie sehen Sie diese?

Fragner: Es ist interessant, dass es im Vergleich zu den Nachbarländern in Österreich bereits 1912 ein Islamgesetz gab. Die Muslime sind sicherlich in der damaligen Zeit in der Monarchie nicht schlecht gefahren. Die österreichischen Behörden sind mit dem Thema gut umgegangen und haben auch politisch darauf gesetzt – etwa in Bosnien als Besatzungsmacht -, den Muslimen gegenüber zugewandt und aufmerksam zu reagieren.

STANDARD: Das wird in dem heute, Mittwoch, zu beschließenden Islamgesetz kaum behauptet. Unter anderem verlangt es eine "Darstellung der Lehre, einschließlich eines Textes der wesentlichen Glaubensquellen (Koran), der den Inhalt in der deutschen Sprache wiedergibt". Halten Sie das für sinnvoll?

Fragner: Die Forderung, dass alle islamischen Gruppen eine von ihnen akzeptierte deutsche Fassung des Korans vorlegen sollen, kann man drehen und wenden, wie man will, aber sie ist nicht übermäßig klug. Den Leuten, die sich mit der Ausarbeitung des Gesetzes beschäftigt haben, müsste doch klar sein, dass sich der Koran nicht auf eine Sammlung von Vorschriften reduzieren lässt, die man von einer Sprache in eine andere übersetzen kann. Es handelt sich um einen höchst komplexen Text, der eine Fülle von rhetorischen, metaphorischen und poetischen Elementen enthält. Gerade diese Vielfalt des Textes hat für Muslime nicht nur einen ethischen, sondern auch einen ästhetischen Wert. Die ästhetische Abrundung des Wortes Gottes wird von vielen Gläubigen als Bestätigung des göttlichen Ursprungs des Textes erlebt. Eine Übersetzung kann diese Gesamtwirkung nicht transportieren.

STANDARD: Die Ästhetik des Korans interessiert die österreichischen Behörden wohl weniger als Regeln, die darin festgeschrieben sind.

Fragner: Wer sich mit dem islamischen Glauben nicht identifizieren kann, für den bleibt, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Koran nicht auf eine Sammlung von Regeln zu reduzieren ist, die man einfach so übersetzen kann. Wenn überhaupt, ist die Übersetzung eine philologische Aufgabe. Eine ausgezeichnete deutsche Übersetzung mit vielen Kommentaren stammt vom Islamwissenschafter Rudi Paret. Der Theologe Hartmut Bobzin hat kürzlich eine weitere Übersetzung vorgelegt. Weiß der Gesetzgeber von ihrer Existenz? Eine philologisch inadäquate Übersetzung mag Gläubigen zur Selbstorientierung dienlich sein, der behördlichen Außenkontrolle kann sie nicht nützen. Wenn man nachschlagen will, was der Koran dazu sagt, ob man Kaffee trinken darf, dann wird man dort nichts finden. Dazu ist der Koran nicht da – das ist ein Missverständnis. Die Politiker sollten von Banalitäten wie der Kopftuchdebatte abrücken oder von der Frage, wer sich zu Hause zuerst den Schuh abstreifen muss. Zugegeben ist es das, was die Menschen bei uns oft interessiert – da werden seltsame Pseudobräuche oft als islamisch verstanden, deren Existenz aber fraglich ist.

STANDARD: Warum wird im neuen Gesetz nach einer Übersetzung verlangt, wenn es aus philologischer Sicht klar zu präferierende Übersetzungen gibt?

Fragner: Diese philologischen Übersetzungen, zu denen es auch Kommentare gibt und in denen alles sprachlich aufgeschlüsselt ist, lesen sich etwas sperrig. Ich kann mir vorstellen, wenn man Leuten in Politik und Administration, die zu einer Angelegenheit etwas wissen wollen, sagt, sie sollen das in solchen Übersetzungen nachlesen, würden sie zwei oder drei Wochen brauchen. Diesen Geduldsrahmen gibt es nicht, deswegen will man die Vorarbeit auf andere Gruppen abwälzen. Ich sehe darin aber ein Problem, dass eingetragene Vereine jetzt für die Behörden, die für sie zuständig sind, zum vielleicht einzigen Gesprächspartner darüber werden, was in einem Glaubenssystem Gegenstand von Glauben und Nichtglauben ist.

STANDARD: Ist die Frage, ob und wie sich der Koran übersetzen lässt, historisch gesehen eine neue?

Fragner: Die Frage nach der Übersetzbarkeit des Korans haben sich Muslime schon in sehr früher Zeit gestellt, nämlich in dem Moment, in dem die gesellschaftliche und politische Expansion des Islams die Grenzen der arabischen Sprache überschritten hat. Es gibt eine Stelle im Koran, in der Gott darauf verweist, dass die Offenbarung aus Verständnisgründen in der arabischen Sprache unter die Menschen gebracht wurde. Das Arabische ist als die Affirmation der Verständlichkeit zu verstehen. Aber diese Verständlichkeit führt nicht dazu, dass Gott in Kernsätzen spricht. Die Offenbarung zu verstehen bleibt ein gewagtes Unternehmen. Das war einer der Gründe, warum es nichtarabische Sprachgebiete gab, die nicht nur den Islam angenommen haben, sondern auch die arabische Sprache. Die Präsenz des Arabischen in Ägypten und Nordafrika ist eine Begleiterscheinung der islamischen Expansion.

STANDARD: Warum wurde der Koran schließlich doch übersetzt?

Fragner: Neben dem Arabischen hat sich im Osten der arabischen Welt das Persische in arabischer Schrift geschrieben als Verkehrssprache durchgesetzt. Es gibt aus den ersten fünf Jahrhunderten des Islams Koranübersetzungen, die sprachlich hochinteressant sind. Letztlich wurde aber erkannt, dass der Koran ein derart runder Text ist, dass selbst Übersetzungen bereits Kommentarcharakter haben. Schließlich sah man von Übersetzungen des Korans weithin ab. Es gab dann nur Wort-für-Wort-Übersetzungen, diese Wörter wurden aber nicht verbunden, um keinen Konkurrenztext herzustellen. Erst in der türkischen Republik war es eine der ersten Maßnahmen, eine möglichst allumfassende Übersetzung in die moderne türkische Sprache herzustellen – das war nicht unumstritten und hatte stets einen politischen Beigeschmack.

STANDARD: Am neuen Islamgesetz wird auch kritisiert, dass etwa durch das Verbot der Auslandsfinanzierung die Opferrolle, in der sich viele radikale Islamisten sehen, geschürt werden könnte. Wie kommt es zu dieser Opferrolle?

Fragner: Nicht wenige radikale Islamisten sehen sich als Opfer eines weltweiten kolonialistischen und postkolonialistischen Programms des "Westens". Nicht umsonst werden in der heutigen radikalen islamistischen Rhetorik westliche Machthaber oft als "Kreuzritter" bezeichnet. In unserer Vorstellung hat es die Kreuzzüge vor langer Zeit gegeben, und im Übergang zum Spätmittelalter war es aus damit. In der islamistischen Rhetorik wird hingegen bei Kolonialisten immer noch von Kreuzrittern gesprochen, und nach wie vor wird die Verteidigung gegen die Kreuzritter als Teil des Jihads verstanden. Diese Forcierung der Opferrolle ist heute sicherlich nicht mehr angemessen. Auf der anderen Seite muss man die kulturellen Entfremdungen von nichtwestlichen Kulturen in der Welt insgesamt schon ernst nehmen – sie können weltweit zu Unmut und zu Abweisung westlicher Einflüsse und auch vom Westen vertretener Werte führen. (Tanja Traxler, DER STANDARD, 25.2.2015)