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Nicht alle Überfahrten von Flüchtlingen über das Mittelmeer enden erfolgreich.

Foto: AP Photo/Francesco Malavolta

Wien – Boko Haram, IS, die Milizen in der Ostukraine: Immer mehr Regierungen seien überfordert mit Terrorgruppen, die Landstriche unter ihre Kontrolle bringen und dort Gräueltaten begehen, sagte Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International (AI) Österreich, beim Jahresrückblick der Menschenrechtsorganisation am Dienstag.

Zwar seien die Geschehnisse in der Ostukraine nicht vergleichbar mit jenen im Irak oder in Nigeria, doch gebe es strukturelle Parallelen: Es handle sich um ein "langjähriges Versagen von Staaten, in rechtsstaatliche Strukturen, in eine funktionierende Polizei zu investieren", sagt Patzelt.

"Fehlgeburt" Sicherheitsrat

Diese Entwicklung sei "brandgefährlich" und nur durch eine Reform des UN-Sicherheitsrats, der "von vornherein eine Fehlgeburt war", zu stoppen: Die Vetomächte müssten auf ihr Recht, jede Aktion zu blockieren, verzichten. Andererseits brauchen die Vereinten Nationen "wirksame Interventionseinheiten" am Boden, die gezielt gegen Terrorgruppen vorgehen, so Patzelt.

Von "massiven Menschenrechtsverletzungen" spricht auch Bogdan Ovcharuk von Amnesty Ukraine. Während die ukrainische Armee durch den blinden Beschuss von Wohngebieten zahlreiche zivile Opfer verursache, beobachte man in den freiwilligen Milizen Menschenrechtsverletzungen wie Entführungen, Folterungen und Erschießungen, die nicht geahndet würden. "Wir wissen bis heute nicht, wer für die tödlichen Schüsse am Maidan verantwortlich war", sagt Ovcharuk. Auf der von Russland besetzten Halbinsel Krim sei die Repression gegen Regimegegner und Minderheiten besorgniserregend. Ovcharuk spricht von einer "Einschüchterungskampagne – nicht nur gegen Vertreter der Krimtataren, sondern gegen alle".

Mit scharfen Worten kritisierte Patzelt auch die Flüchtlingsabwehr der Europäischen Union: Die EU schaue nicht nur zu, wie jedes Jahr hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ihren Tod finden, sondern "Ertrinkenlassen wird als gezieltes Planungstool der Migrationskontrolle eingesetzt", sagt Patzelt. Dass die italienische Rettungsmission "Mare Nostrum", die bis Ende Oktober 2014 systematisch Geflüchtete aus Seenot befreite, eingestellt wurde, sei nicht nur Geldknappheit geschuldet, sondern "wohl auf massiven zynischen Druck der anderen EU-Staaten" geschehen. Mit dem fatalen Ergebnis, dass heute mehr Flüchtlinge im Meer ertrinken denn je.

Wissen um Lebensgefahr

Die Behauptung, dass verstärkte Seerettung nur neue Migranten anlocken würde, sei "erwiesenermaßen widerlegt", meint Patzelt – denn nach Abschaffung von Mare Nostrum habe sich die Zahl der Bootsflüchtlinge noch einmal erhöht. "Diese Menschen wissen ganz genau, dass sie ihr Leben riskieren."

Der Österreich-Generalsekretär von AI sprach auch ein heikles Thema an: Zwischen politischen Flüchtlingen und Menschen, die ihr Land aus wirtschaftlichen Gründen zurücklassen, müsse man unterscheiden – "aber dieses Unterscheiden darf niemals zwischen zwei Booten in Seenot erfolgen" – sondern erst, nachdem man die vom Tod bedrohten Menschen in Sicherheit gebracht habe. "Hier gilt es blitzartig einen Paradigmenwechsel herzustellen", so Patzelt: "Ertrinkenlassen kann es wohl nicht sein." (Maria Sterkl, derStandard.at, 24.2.2015)