Europa steht unter schwerem Stress von mehreren Seiten. Es ist eine Art Belagerungszustand. Alte Sicherheiten sind gefährlichen neuen Bedrohungen gewichen.

Putins Russland hat die Lösung von Konflikten ohne Gewalt aufgegeben und zeichnet die Landkarten mit Panzern neu. Die Idee eines partnerschaftlichen Verhältnisses mit der EU und innerhalb Europas weicht einer konfrontativen Politik. Was immer man über Fehler der EU im Umgang mit der Ukraine denken mag - mit der militärischen Gewalt hat Putin begonnen. Er spricht der Ukraine ganz klar das Recht auf eine eigenständige Entwicklung ab.

Die griechische Schuldenkrise bedroht den politischen Zusammenhalt der EU. Selbstverständlich haben die Griechen ein Recht, eine ihnen genehme und in ihrem Verständnis aussichtsreiche Regierung zu wählen. Aber die EU besteht noch aus anderen Staaten, auch ärmeren, deren Hilfsbereitschaft nicht überstrapaziert werden darf. Trotzdem muss alles getan werden, um Griechenland in der Eurozone zu halten; die Frage ist nur, ob die neue griechische Regierung selbst genug dafür tut.

In Europa leben Millionen muslimischer Zuwanderer. Ein Teil davon lebt hier, will aber die europäischen Werte - Demokratie, Rechtsstaat, Ablehnung einer dominanten Rolle der Religion - nicht recht anerkennen. Ein anderer, noch viel kleinerer Teil setzt diese Ablehnung aktiv in Terrorismus und sogenannten Jihad um. Die Erkenntnis ist bitter: Es leben tausende Todfeinde in unserer Mitte.

Im Nahen Osten wütet das Schreckensregiment des "Islamischen Staates" und breitet sich auf die Südküste des Mittelmeeres (im Sinai, zuletzt in Libyen) aus.

Keine Bedrohung im engeren Sinn, aber ein unerträglicher demokratischer Skandal, der auch an den eigenen Werten zehrt, sind die tausenden Flüchtlinge, die bei dem Versuch, übers Meer nach Europa zu gelangen, in den Fluten umkommen.

In den EU-Ländern selbst werden europafeindliche, rechtsautoritäre Parteien stärker und suchen Unterstützung beim autoritären Putin-Regime. In Ungarn ist unter Orbán eine solche im Grunde uneuropäische Bewegung bereits an der Macht. Die Türkei, die man zwar nicht als Mitglied, aber als wichtigen Partnerstaat will, bewegt sich unter Tayyip Erdogan mit Riesenschritten auf ein autoritäres Modell zu.

Die EU ist, bei allen Verschwörungstheorien und Untergangsprophezeiungen in den Internetforen, ein wirtschaftlicher und politischer Erfolg, auch im Sinne einer Zivilisierung von Konflikten. Was tun mit unzivilisierten Widersachern? Es bleibt nichts anderes, als auf die eigenen Stärken zu vertrauen, als da sind: liberale Demokratie, Rechtsstaat, soziale Marktwirtschaft, Attraktivität des eigenen Lebensmodells. (Die Nato muss allerdings eine kleine Eingreiftruppe bereithalten, um Putin davon abzuschrecken, das "Separatisten"-Modell im Baltikum auszuprobieren.)

Diese Stärken der EU sind reparaturbedürftig, kein Zweifel. Aber sie sind da und stark genug, um ohne Rückgriff auf Panikmaßnahmen den Belagerungszustand zu bewältigen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 21.2.2015)