Heidelberg - Anhaltende Schmerzreize wie beispielsweise Entzündungen machen die feinen Nervenenden in Haut und Bindegewebe mit der Zeit überempfindlich. Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg haben nun erstmals einen molekularen Mechanismus entdeckt, mit dem die erhöhte Sensibilität wieder heruntergefahren werden kann.
Bisher waren nur zahlreiche Mechanismen der Sensibilisierung, allerdings keine Gegenmaßnahmen der Nervenzellen bekannt. Von der weiteren Erforschung des Signalwegs erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse zur Entstehung chronischer Schmerzen. Zudem könnte der neu entdeckte Mechanismus neue Ansatzpunkte für die Schmerztherapie bieten.
Unangenehme Berührungen
Wie sich die Sensibilisierung der Schmerzrezeptoren anfühlt, weiß jeder, der sich schon einmal einen Sonnenbrand zugezogen hat. Selbst die leichte Berührungen der Kleidung schmerzt, sonst wohltuende Wärme ist ebenfalls unangenehm. Bei Verletzungen oder Entzündungen verhält es sich ähnlich. Diese Reaktion des Nervensystems auf länger anhaltende Schmerzreize ist sinnvoll: Die betroffenen Bereiche werden geschont, was wiederum die Heilung fördert. Bekannter Botenstoff des Nervensystems beruhigt Nervenenden.
Dabei ist Schmerz nicht gleich Schmerz - für verschiedene Schmerzarten gibt es unterschiedliche Detektoren. Die Heidelberger Wissenschaftler untersuchten speziell die Sensibilisierung durch solche Schmerzreize, die Nervenzellen mit Hilfe eines bestimmten Proteins an ihrer Oberfläche erfassen. Dieser "Schmerzsensor" TRPV1 reagiert unter anderem auf Inhaltsstoffe von Pfeffer, auf Hitze, Säure und auf bestimmte Botenstoffe des Immunsystems, die bei Entzündungen ausgeschüttet werden.
Hält der Schmerzreiz länger an, wie das bei jeder Entzündung der Fall ist, wird TRPV1 verändert oder häufiger gebildet. Die Folge: Die Nervenenden sind leichter reizbar als sonst und melden bereits schwache Reize als Schmerz an das Gehirn. Das Signal zur Beruhigung gibt ein Universal-Botenstoff des zentralen Nervensystems, GABA, dessen Rolle in der Schmerzregulation des Gehirns und des Rückenmarks zwar bekannt ist, der bisher aber nicht im Bereich der Nervenendigungen vermutet wurde.
Genau dort entdeckte ihn die Arbeitsgruppe und wies auch den passenden Bindungspartner, das Eiweiß GABA B1, auf der Oberfläche der Nervenzellen nach. Die Wissenschaftler zeigten: Wird GABA B1 vom Botenstoff GABA aktiviert, versetzt es den TRPV1-Schmerzsensor wieder in seinen Ausgangszustand. Wie genau das funktioniert, muss noch geklärt werden.
Keine Totalblockade für Reize
"Das Besondere an diesem Signalweg ist die differenzierte Wirkweise: Er schaltet das Schmerzprotein TRPV1 nicht komplett ab, sondern macht nur die erhöhte Reizbarkeit rückgängig", sagt Jan Siemens vom Pharmakologischen Institut Heidelberg. Die Nervenendigungen bleiben dadurch weiterhin empfänglich für Reize von außer- und innerhalb des Körpers",
Wie wichtig dies ist, zeigen frühere Versuche, Medikamente gegen die Überempfindlichkeit der Nervenenden bei anhaltenden Schmerzen zu entwickeln. Die bisher erprobten Wirkstoffe schalten TRPV1 komplett aus. Doch ohne TRPV1 sind die Nervenzellen scheinbar auch nicht mehr in der Lage, die Körpertemperatur zu regulieren und es kommt zu einem starken, fieberähnlichen Anstieg.
"Der neu entdeckte Signalweg könnte ein erster Ansatz sein, gezielt die Schmerzüberempfindlichkeit auf Ebene der Nervenenden zu dämpfen, ohne dabei wichtige Regulationsprozesse im Körper zu stören", sagt der Biochemiker. Wirkstoffe, die diesen Mechanismus in Gang setzen, könnten dort helfen, wo der Schmerzauslöser und damit auch die Sensibilisierung der Nervenenden dauerhaft bestehen bleibt – wie bei chronischen Entzündungen.
Eventuell ließe sich der neue Mechanismus auch nutzen, um der Entstehung chronischer Schmerzen z.B. nach Bandscheibenvorfällen oder an Operationsnarben vorzubeugen. Das muss die weitere Forschung zeigen. (red, derStandard.at, 20.2.2015)