Ada Pellert ist Präsidentin der DUW in Berlin, sie war zuvor Vizerektorin der Donauuniversität Krems.

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Standard: Was brauchen Hochschulabsolventen heute angesichts der riesigen Transformation der Arbeitswelt?

Pellert: Einen Plan - die bittere Pille dabei ist: Ich muss meine Ausbildungen und Weiterbildungen selbst steuern.

Standard: Viel verlangt von Jungen, die kaum anderes als Unsicherheit rundum sehen ...

Pellert: Es ist ja auch eine lebenslange Reise. Einmal gemacht, und dann ist es vorbei - das ist vorbei. Das bedeutet etwas für die Haltung, nämlich: Ich bin der Change-Agent, auf den die Welt wartet, und nicht das fertige Produkt an Kompetenzen, das nach einem Hochschulabschluss passgenau auf einem bestimmten Platz landet. Kein Lehrender kann heute den Katalog der Qualifikationen für morgen nennen, weil es immer mehr um die Verbindung vieler Fachdisziplinen geht. Die Probleme dieser Welt sind ja auch nicht in Disziplinen sortiert. Ihre Lösung kann es also auch nicht sein.

Standard: Ängstigend und auch befreiend - hat etwas von Pippi Langstrumpf: Ich mache mir die Welt ...

Pellert: Ja, es geht um die Gestaltung der Berufswelt, der eigenen Tätigkeit. Schauen Sie auf die Wissenschaftsproduktion: Das wirklich Interessante ist transdisziplinär. Und ja, das sind sehr hohe Anforderungen, selbst definieren zu müssen und unternehmerisch sein, nicht im plumpen Sinne des Geldmachens, sondern der Verantwortlichkeit für den Weg - das setzt unter anderem Neugierde voraus und auch die Fähigkeit zur Adaption, zum Biegen statt zu brechen bei anhaltender Veränderung. Das wäre eine Kompetenz, mit der Absolventen von Hochschulen gehen sollten. Die Arbeitswelt wird immer mehr zum Langstreckenlauf mit Hürden - ohne Freude und Spaß ist das nicht durchzuhalten: wieder eine Kompetenz, die wir brauchen nebst Selbstführung. Sonst kann nicht eigenständig definiert werden.

Standard: In einem System, in dem die Lehre nicht die höchste Reputation genießt?

Pellert: Da sehe ich eine Trendumkehr in der Wertigkeit der Lehre: Bei Berufungen etwa, und auch andere Steuerungsmechanismen gehen in die Richtung Aufwertung. Es schauen auch die internationalen Akkreditierungen verstärkt auf die Qualität der Lehre. Und auch die demografische Kurve befördert das: Neue Zielgruppen bei schwindender Menge Junger kann man nur durch Attraktivität in der Lehre erschließen, und da geht es um Definition des Fachlichen und einen angemessenen Mix aller Möglichkeiten des Blended Learning.

Standard: Geht das auf einer Massenuni nach der Bologna-Architektur?

Pellert: Ich glaube, schon. Man muss nicht klein sein, um gut zu sein. Gerade mit den Neuen Medien geht es um das Wie und um die Rolle der Lehrenden, die sich in Richtung Ermöglicher und Begleiter wandelt. Wir tun ja noch so, als hätten wir lauter 18-jährige Studenten ohne mitgebrachte Kompetenzen und ohne andere Interessen und Pflichten. Da ist viel mehr Interaktion möglich und notwendig. Und Bologna ist genauso bürokratisch und verschult, wie wir es gestalten. Es wird gerne die Form beschuldigt, aber der Inhalt nicht gestaltet. Und: Wieso darf ein Bakkalaureat nicht länger dauern, wenn die fachliche Grundlage es verlangt?

Standard: Noch mal zu Hochschulen für mehr Generationen: Lernen ist bei vielen ja negativ besetzt ...

Pellert: Erwachsene müssen oft vergessen, was sie mit Lernen von der Schule her verbinden. Diesen Sprung ins Freudvolle, das Spüren des Nutzens - diesen Sprung haben Hochschulen zu schaffen, auch mit einer Umgebung, die dazu verführt. Es kann nicht alles in den ersten Jahren an einer Hochschule passieren, aber wir müssen in diesen ersten Jahren jedenfalls eine Art "Infektion" schaffen, die neugierig hält. (INTERVIEW: Karin Bauer, DER STANDARD, 21.2.2015)