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Wer von A nach B unterwegs ist, orientiert sich am Ziel. Beim Feminismus ist das anders.

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Feminismus ist kein bestimmter Inhalt, sondern eine Praxis. Deshalb kann sich der Feminismus auch nicht als Partei organisieren, nicht einmal als Verein oder feste Gruppe. "Wir sind eine nomadenhafte Bewegung", hat Chiara Zamboni das vor zwei Wochen in einem Vortrag genannt (der hier im Wortlaut nachgelesen werden kann).

Das Bild gefällt mir sehr gut, denn das Sich-nicht-festlegen-Lassen ist etwas, das mir für mein politisches Engagement sehr wichtig ist. Nicht nur im Feminismus, sondern generell, wobei sich das Feministische vom Generellen ja ohnehin nicht unterscheiden lässt.

Abc des guten Lebens

Aus dieser Haltung heraus ergeben sich jedoch Besonderheiten, die beachtet werden müssen. Weil wir im Feminismus kein Modell haben, an dem wir uns festhalten können, weil wir kein Projekt zu verwirklichen haben, wird die Gegenwart besonders wichtig, weshalb uns das "Geistesgegenwärtigsein" im "Abc des guten Lebens" ein eigenes Stichwort wert war.

Wenn ich auf einem fixen Weg von A nach B unterwegs bin, dann orientiere ich mich an dem Ziel. Dann ist der Maßstab für mein Handeln die Frage nach der Strategie, nach dem "richtigen" Weg, der an jeder Kreuzung nur ein einziger sein kann (nur im imperialistischen Größenwahn führen alle Wege nach Rom).

Wenn ich "nomadenhaft" unterwegs bin, dann bekommt der einzelne Schritt, der also, den ich jetzt im Moment tue, die Gegenwart, eine umso größere Bedeutung. Der einzelne Schritt ist nicht Mittel zum Zweck (nach "B" zu kommen, das schon feststeht), sondern er ist selber Zweck. Jedes Mal wieder eine originelle, eine freie Entscheidung. Daraus ergibt sich eine größere Verantwortlichkeit im Hier und Jetzt. Denn jeder Schritt ist wichtig.

Trägerinnen des Feminismus

Ebenso wichtig ist die Präsenz, die körperliche Anwesenheit. Nicht "der Feminismus" oder "die feministische Theorie" trägt die politische Bewegung, sondern die einzelnen Akteurinnen und gegebenenfalls auch Akteure. Da es keine übergeordnete Formel gibt, die der Maßstab für die (zu verwirklichende) Welt ist, kommt es umso mehr darauf an, die Gegenwart zu verstehen und ihr Bedeutung zu geben, sie zu deuten. Das also, was Hannah Arendt "Denken ohne Geländer" genannt hat. Ich bin es, ich in meinem Körper im Hier und Jetzt, die eine bestimmte Situation interpretiert und dann dieses oder jenes denkt, sagt und tut (oder eben nicht). Die Trägerinnen des Feminismus sind wir.

Jede zählt

Nicht jede allein, sondern wir in unseren Beziehungen natürlich. Chiaras Bild dafür war: "Ich bin ich, aber ich bin nicht ganz getrennt von dir." Jede zählt, in ihrer subjektiven Einzigartigkeit. Aber sie ist nicht ganz getrennt von der anderen. Nicht von den abstrakten anderen als einer Gruppe ("den Frauen"), sondern von denjenigen anderen, die mit ihr ganz konkret eine bestimmte Situation, die jeweilige Gegenwart, teilen. Denjenigen, die in dieser Situation ebenfalls "präsent" sind.

Unverbrauchte Worte

Warum denken wir überhaupt? Weil wir, so Chiaras Erklärung, ständig neue Erfahrungen machen, dafür aber nur verbrauchte Worte haben. Worte aus alten, bereits vorfindlichen symbolischen Ordnungen, mit denen wir diese Erfahrungen nicht angemessen beschreiben können. Deshalb denken wir, um sagen zu können, was ist, was (uns) gerade geschieht. Weil wir dafür unverbrauchte Worte brauchen.

Der Konflikt hilft

Der Konflikt ist dafür eine wichtige Ressource, eine Bereicherung, denn er hilft uns, Worte zu finden für das, was geschieht. Aber das, so Chiara, funktioniert nur, wenn unser Ego beiseitetritt. Weder geht es bei einem Konflikt – wenn er solchermaßen eine Bereicherung sein soll – darum, zu siegen, aber es geht auch nicht darum, ihn möglichst schnell beizulegen, eine Einigung zu finden, mit der alle leben können. Das Wichtigste bei diesem Prozess ist, den Konflikt möglichst klarzumachen, also ihn so zu besprechen, dass die wirkliche Differenz zwischen uns auf den Tisch kommt.

Positionen benennen

Chiara hatte dafür einen schönen Ausspruch von Françoise Dolto, die für eine "Niederlage" in einem politischen Konflikt sagte: "Das bin nicht ich, die verloren hat, das ist nur ein Spiel." Politische Konflikte sind ein Spiel um die Bedeutung der Welt, um die nämlich geht es, nicht um unsere jeweiligen Egos. Es ist nicht wichtig, recht oder unrecht zu haben, sondern es ist wichtig, die verschiedenen Positionen klar zu benennen. Damit unter uns ein freier Geist zirkuliert.

Essenz der Frauenbewegung

Feminismus ist ein offener Weg ohne Ziel. Und die Erfahrungen unserer Gegenwart sind alles, was wir dabei im Gepäck haben. Unsere Erfahrungen, die nicht in der Vergangenheit verhaftet sind, allerdings aus ihr gespeist werden. Die sich aber auf ein Noch-nicht richten, das wir nicht fixieren können.

Das Ich einer bestimmten Frau in einer konkreten Situation, das getrennt von der anderen ist, aber nicht völlig von ihr getrennt, ist die Essenz der Frauenbewegung. (Antje Schrupp, dieStandard.at, 20.2.2015)