Hey, kühl bleiben. Heiß sind wir selber. Den vier Mittzwanzigern von Bilderbuch gelingt mit ihrem dritten Album "Schick Schock" der große Wurf. Es erscheint am kommenden Freitag.

Foto: Heribert Corn

Wien - Die Isolation galt einst als wesentlicher Standortvorteil. Die Historie der Popmusik ist voller Geschichten von Bands, Milieus und Szenen, die eine Weile lang unbeobachtet vom Rest der Welt ihr Süpplein kochten, bis kosmische und andere Zufälle dafür sorgten, dass in der Welt plötzlich eine unbändige Begierde nach genau dieser Suppe erwachte, ein Heißhunger, die reine Gier.

Die Globalisierung sowie die omnipräsente Information über alles und jeden Schas gruben den Vorteilen der Abgeschiedenheit zusehends das Wasser ab, entzauberten Unbekanntes oft schon im Ansatz. Doch dann und wann biegt immer noch eine Band um die Ecke, die plötzlich alles aufregend und richtig macht, die überrascht. Egal, ob es nur die Fackelträger eines Revivals sind oder Vertreter einer sich tatsächlich neu ausnehmenden Kunst.

So eine Band schleicht gerade um die Häuser, und es sind die Häuser Wiens. Die Band heißt Bilderbuch, und der Beleg dieser Einschätzung erscheint am Freitag: das Album Schick Schock.

BILDERBUCH

Bilderbuch haben sich seit ihrem letzten Album Die Pest im Piemont ein bisschen neu erfunden. Die Pest ... war ein klassisches Beispiel inspirierten Kopistentums. Die Band aus Oberösterreich spielte darauf einen atemlosen Dance-Rock, der unter dem Eindruck von Gruppen wie The Rapture oder den Strokes entstanden war. Sehr gut, live mit einer Portion Wahnsinn gepfeffert, aber eben eine "yesterday's band".

Dann begannen die vier nach eigenen Angaben Hip-Hop zu hören, Schwerpunkt Kanye West, also ausgerechnet der geniale Großkotz des Fachs. Doch nicht dessen Großkotzigkeit hat man sich angeeignet, sondern sein grenzüberschreitendes Zusammendenken von Stilen.

Die Ergebnisse dieser Arbeit gipfeln nun in den zwölf Songs von Schick Schock. Das Album besticht mit einem Hybrid aus fetten Beats, minimalistischem Funk, rockistischen Applikationen an den richtigen Stellen und dem Gesang von Maurice Ernst. Der exzentrische Blondschopf mit den dunklen Brauen falsettiert sich mit einer Lässigkeit durch so leger wie präzise hingeworfene Texte. Dabei switcht er nach Laune und Anforderung zwischen Englisch und Deutsch.

Falco wird von den vier Herrschaften genauso zitiert wie Austropop-Veteran Peter Cornelius. Aber eigentlich gelangt man über diese Krücke bereits in Gefilde, die das Ansehen der Band nur bekleckern. Denn während der klassische Austropop genügsam im eigenen Saft des österreichischen Publikums schmorte und dort lange schon ersoffen ist, klingen Bilderbuch mit ihrer Musik gleichermaßen regional wie global scharf.

Grenzenlose Euphorie

Dementsprechend gibt es eine euphorische Wahrnehmung auch jenseits der Grenzen. Bilderbuch zählen, neben der sympathisch adoleszentes Elend besingenden und betrinkenden Band Wanda, zur Speerspitze neuer österreichischer Popmusik. Das deutsche Feuilleton überschlägt sich seit einigen Jahren angesichts von Acts wie Kreisky oder Ja, Panik sowieso schon regelmäßig, mit Bilderbuch und Wanda ist es nun nicht anders. Selbst in den Monatsheften der Fachpresse werden sie abgefeiert. Damit sind sie nicht nur ein Minderheitenphänomen verkopfter Elfenbeinturmbewohner, diese Bands sind im Mainstream angekommen. Im Märzheft des deutschen Musikexpress ist Schick Schock die Platte des Monats, die Hallen, die sie bespielen, sind mittlerweile groß und oft schon Monate im Voraus ausverkauft. Gut, das gelingt Hansi Hinterseer auch, aber nicht mit einer derart geilen Mucke.

Die ist nicht nur gut gebaut, sie verströmt ein Lebensgefühl. Und dieses ist nicht notwendigerweise auf die Altersgruppe ihrer Schöpfer beschränkt, sie verströmt nebst akuter Dringlichkeit eine Zeitlosigkeit. Trotz der ollen Brian-May-Gitarre schieben Songs wie Barry Manilow und Plansch extrem an und erinnern dabei ein wenig an TV on the Radio - ohne dass das Abzüge in der Wertung ergäbe. Abgebrüht funky kommen Titel wie OM oder Spliff daher. Die Fallen des deutschen Hip-Hop umschifft die 2005 gegründete Band so souverän, wie Ernst seine Texte absondert. Diese bestehen aus einer launigen Mischung aus Anmaßung, Brunft und Schmäh.

In diesen Fächern macht ihnen im Moment niemand etwas vor, und der Ideenreichtum, mit dem Bilderbuch sie verhandeln, macht Schick Schock zum Meisterwerk. Bestechend dabei: wie die vier sich immer wieder Minimalismus verordnen und ihre Suppe nie überkochen. Damit platzieren sie selbst hinten am Album, wo vielen Bands die Ideen ausgehen, noch potenzielle Hits wie Rosen zum Plafond. Einer aus der Kategorie jabistdudeppat. (Karl Fluch, DER STANDARD, 19.2.2015)