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In seiner populärwissenschaftlichen Neuerscheinung erklärt der Schweizer Physiker Nicolas Gisin Theorien und Anwendungen der Quantenphysik ohne Mathematik und in allgemeinverständlichem Vokabular.

Foto: APA/C. Lackner

"Wer sagt, er versteht die Quantenphysik, der hat sie nicht wirklich verstanden." Dieses Zitat des US-amerikanischen Nobelpreisträgers Richard Feynman muss oft dafür herhalten, Erklärungsversuche dieser Theorie schon im Keim zu ersticken. Wagt man dennoch einen Versuch, sich der Physik der kleinsten Teilchen anzunähern, findet man sich schnell mit einem komplexen mathematischen Apparat konfrontiert, der jedenfalls Nichtphysiker entmutigen wird.

Der an der Universität Genf ansässige Physiker Nicolas Gisin unternimmt in seinem ersten populärwissenschaftlichen Buch "Der unbegreifliche Zufall" den für einen Physiker seltenen Versuch, die Physik ohne Formeln zu beschreiben. Denn "die große Geschichte der Physik kann auch ohne Mathematik erzählt werden", macht Gisin seinen Lesern Mut und verlegt sich in seiner Darstellung auf die Konzepte, die hinter den Gleichungen stehen.

"Reiner Schöpfungsakt"

Ins Zentrum seiner Einführung in die Quantenphysik stellt Gisin den - wie er ihn nennt - "echten" Zufall. Dabei handle es sich um "einen reinen Schöpfungsakt", wie ihn die klassische Physik nicht kennt. Im herkömmlichen Verständnis erscheint ein Ereignis zufällig, wenn die Ursachen zu komplex sind, um sie zu verstehen, oder gänzlich unbekannt. In der Quantenphysik gibt es hingegen einen fundamentalen, eben echten Zufall, der mit keiner physikalischen Theorie erklärt werden kann.

Albert Einstein hat diese Theorie einer vollkommen zufälligen Physik überhaupt nicht gefallen, polemisch wandte er ein, dass "Gott nicht würfelt". Dass die Quantenphysik tatsächlich auf echtem Zufall beruht, haben schließlich die 1964 vom irischen Physiker John Bell aufgestellten Bell'schen Ungleichungen bewiesen und damit posthum Einstein widerlegt. Anstatt die Mathematik zu bemühen, um die Verschränkung und die Bell' schen Ungleichungen abzuleiten, macht Gisin ihr Grundprinzip im sogenannten Bell-Spiel verständlich.

Quanten-Revolution

Das ist keine leichtverdauliche Lektüre, was der Autor bedauert: "Es tut mir leid, dass ich Ihre kleinen grauen Zellen mit dem Bell-Spiel strapaziere, aber wir sind ein bisschen wie die Menschen, denen man erzählt, dass die Erde rund sei wie eine Kugel."

Dass die Quantenphysik eine ähnliche Revolution im Denken bedeutet wie die Abkehr von der flachen Erde oder die Kopernikanische Wende, schlägt sich auch in vielen möglichen Anwendungen wie Quantenteleportation, Quantenkryptografie oder dem Quantencomputer nieder, denn "je revolutionärer ein Konzept, desto futuristischer sind die Anwendungen", schreibt Gisin.

In dem Buch findet sich sowohl Gisins Talent als Grundlagentheoretiker wieder wie auch seine Expertise in der Anwendung. So gelang es seiner Gruppe 1997 als erster weltweit, ein Experiment mit verschränkten Lichtteilchen außerhalb eines Labors durchzuführen - zwischen den zehn Kilometer entfernten Schweizer Ortschaften Bernex und Bellevue, im herkömmlichen Swisscom-Glasfasernetz. Der Beschreibung dieses Experiments ist ebenfalls ein Kapitel des Buches gewidmet.

Kann man die Quantenphysik also entgegen Feynmans Annahme durch die Lektüre von Gisins Buch verstehen? Der Autor antwortet darauf: "Jeder wird etwas verstehen und niemand wird alles verstehen!" (Tanja Traxler, DER STANDARD, 18.2.2015)