Wien - "Sehr viele Frauen werden nach einer Brustkrebsoperation vorsorglich mit einer Chemotherapie behandelt, um das Rückfallrisiko zu minimieren", kritisiert die Gesellschaft für Senologie (ÖGS). Die üblichen in der Pathologie eingesetzten Methoden sowie die Informationen, die bei der Operation gewonnen werden können (beispielsweise der Befall von Lymphknoten), führten bei etwa der Hälfte der Patientinnen zu Klassifizierung in ein hohes oder in ein niedriges Risiko. Bei der anderen Hälfte mit intermediärem Risiko ist jedoch auf diesem Weg keine genaue Risikoabschätzung möglich, heißt es von Seiten der ÖGS.
"Man weiß, dass nicht alle Frauen mit intermediärem Risiko unbedingt eine Chemotherapie benötigen. Aber die Entscheidung fällt im Einzelfall oftmals schwer, und daher wird sicherheitshalber häufig - das heißt zu häufig - zugunsten einer Chemotherapie entschieden", erklärt Angelika Reiner, Pathologin und Präsidentin der ÖGS.
Übernahme der Testkosten durch Krankenkassen gefordert
Laut Meinung der Experten ermöglichen Genexpressionsuntersuchungen im Tumorgewebe relativ präzise Einschätzungen des Rückfallrisikos und werden in vielen Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland von den Krankenkassen bezahlt. "In einem standardisierten Verfahren können hier Patientinnen identifiziert werden, die eine sehr gute Prognose haben und somit auf eine Chemotherapie verzichten können.
Diese momentan noch sehr teuren Tests machen vor allem bei jenen Patientinnen Sinn, deren Risiko wir nach herkömmlichen Testungen als intermediär einstufen", meint Ruth Exner von der Universitätsklinik für Chirurgie in Wien im AKH.
Da unnötigerweise durchgeführte Chemotherapien sowohl massives Leid bei den betroffenen Patientinnen als auch sehr hohe Kosten für das Gesundheitssystem verursachen, fordert die ÖGS die Krankenkassen dazu auf, die Kosten für Genexpressionstest bei Patientinnen mit intermediärem Risiko zu übernehmen.
Genexpressionstest statt Chemotherapie
Christian Singer, Leiter der Abteilung für Senologie an der Wiener Universitätsfrauenklinik im AKH, schätzt die Zahl der Frauen, denen durch eine präzisere Risikoeinschätzung mittels Genexpressionstests künftig eine Chemotherapie erspart werden könnte, auf jährlich bis zu 1.000.
"Wenn man bedenkt, dass pro Patientin ein einziger von bis zu acht notwendigen Chemotherapiezyklen bereits mehr kostet als die gesamte Durchführung eines Genexpressionstests, so erscheint es schon alleine aus finanziellen Überlegungen widersinnig, dass die Krankenkassen bis heute kein Geld für diese Untersuchung aufbringen. Man bringt sich damit um die Möglichkeit, auf eine teure, belastende und völlig unnötige Therapie ganz einfach zu verzichten", ist Singer überzeugt. (APA, derStandard.at, 17.02.2015)