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In Istanbul demonstrieren Frauen mit einem Bild der ermordeten Özgecan Aslan gegen einen Staat, in dem ihre Rechte durch eine zunehmende Islamisierung weiter eingeschränkt werden.

Foto: EPA/Sedat Suna

Istanbul/Wien - Nach einem Tag auf der Universität in Tarsus macht sich Özgecan Aslan auf den Weg nach Hause. Wie üblich nimmt die 20-jährige Psychologiestudentin auch am frühen Abend des 11. Februar den Bus, der sie ins rund 30 Kilometer entfernte Mersin in der gleichnamigen türkischen Provinz bringen soll. Dieses Mal aber kommt Aslan nicht bei ihrer Familie an. Stattdessen wird sie Opfer einer brutalen Tat, die zu einer erneuten Diskussion über die zunehmende Islamisierung des Landes führt.

Unfreiwilliger Auslöser dieser Debatte ist der Fahrer des betreffenden Busses. Er wartet, bis sich nur mehr Aslan im Bus befindet, um in einen abgelegenen Feldweg abzubiegen und die 20-Jährige dort zu vergewaltigen. Als sie sich wehrt, zieht der 26-jährige Busfahrer ein Messer und sticht mehrmals auf sein Opfer ein. Diese Stiche sind tödlich.

Leiche von Aslan verbrannt

Nach dem Mord fährt der Busfahrer nach Hause und bittet seinen Vater und seinen Cousin um Hilfe, um die Leiche zu beseitigen. In einem Flussbett wollen die drei Männer Aslan verbrennen, doch dies gelingt nicht vollständig. Noch am selben Abend gibt die Familie des Opfers eine Vermisstenanzeige auf. Zwei Tage später findet die Polizei den entstellten Leichnam, und kurz darauf nimmt sie die drei Verdächtigen fest, die sich geständig zeigen. Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu von der konservativ-islamischen AKP-Regierung verurteilen die Tat und sprechen der Familie Aslans ihr Beileid aus.

Doch damit war die AKP nicht aus dem Schneider. Tausende Menschen - vorwiegend Frauen - gingen am Wochenende auf die Straßen Istanbuls, Ankaras und weiterer türkischer Städte. Sie trauerten um Özgecan Aslan, aber sie demonstrierten auch gegen die AKP und ihren Mastermind Erdogan. Die seit Jahren mit absoluter Mehrheit regierende Partei versucht die Türkei nach ihren islamistischen Vorstellungen umzukrempeln, angetrieben von deutlichen Wahlsiegen in den letzten Jahren immer offener und unverhohlener.

Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Erdogan aufbegehrt wird - Stichwort Taksim-Protest -, es ist aber eine Premiere, dass der Protest vorwiegend weiblich ist. Immer häufiger klagen Frauen in der Türkei über sexuelle Belästigung, auf Twitter wird derzeit unter dem Hashtag #sendeanlat ("Erzähl auch du es") dazu aufgerufen, diese Erfahrungen zu teilen. Für Montag wurden weitere Proteste in der Türkei angekündigt.

Angst vor weiteren Bluttaten

Die Demonstranten befürchten, dass das Schicksal Aslans kein Einzelfall bleiben wird, wenn die AKP ihre islamistische Umwälzung fortführt, an deren Ende eine Gesellschaft steht, in der Männer und Frauen nicht gleichberechtigt sind. Genau das gab nämlich Erdogan im November vergangenen Jahres in einer Rede über Frauenrechte von sich: Für ihn sei die Gleichstellung der Geschlechter "wider die Natur".

Seit die AKP 2002 an die Macht kam, ist die Zahl der ermordeten Frauen offiziellen Statistiken zufolge von jährlich 66 auf weit über 1000 gestiegen. Das bezieht sich aber lediglich auf Gewaltakte innerhalb der Familie. (ksh, DER STANDARD, 17.2.2015)