Dieser Marienkäfer lebt, er kann sich aber nicht von der Stelle rühren: Er ist dazu verdammt, die eingesponnene Wespenlarve darunter zu bewachen. Schuld an der Lähmung dürfte ein RNA-Virus sein.

Foto: Gilles San Martin

London/Wien - Wie Parasiten ihre Opfer manipulieren, zählt zu den grausigeren, aber eben auch besonders faszinierenden Erfindungen der Evolution. Da wäre etwa jene tropische Pilzart, die Ameisen dazu bringt, wie ferngesteuert auf Bäume zu klettern. Oben angekommen wächst dann aus dem Kopf des Opfers der Fruchtkörper eines neuen Pilzes, der luftige Höhen bevorzugt und genau deshalb die Ameisen nach oben klettern lässt.

Oder man denke an die einzelligen Protozoen der Art Toxoplasma gondii, die Mäusen die Angst vor Katzen nehmen, damit sie in deren Verdauungssystem gelangen können. Auch hier ist augenscheinlich eine Manipulation des Gehirns am Werk. Noch ein wenig grausamer, aber nicht immer tödlich, ist die Zombiefizierung, die Schlupfwespen der Art Dinocampus coccinellae Marienkäfern angedeihen lassen. Und auch hier scheint nach neuesten Erkenntnissen Gedankenkontrolle eine entscheidende Rolle zu spielen.

Parasitäre Horrorgeschichte

Was die Marienkäfer-Brachwespen mit Marienkäfern anstellen, ist von Biologen seit langem gut beschrieben. In aller Kürze geht die Horrorgeschichte in etwa so: Die parasitäre Wespe legt ein einzelnes Ei in das Gedärm der Käfer, wo sich die geschlüpfte Larve dann rund 20 Tage lang von den Körpersäften und vom Fettgewebe des Wirts ernährt. Ohne den Käfer zu töten, schlüpft die Larve durch den Darmausgang und spinnt einen Kokon zwischen den Beinen des in Lähmung versetzten Käfers, der bis zu neun Tage lang wie ein Wächter über dem Wespenkokon stehen bleibt.

Die Zombiefizierung durch die vier Millimeter große Marienkäferbrachwespe, die von Nordamerika über Europa und Asien bis Australien lebt, ist in mehrfacher Hinsicht faszinierend: Wie französische Forscher vor vier Jahren herausfanden, sind die gelähmten Marienkäfer tatsächlich ein wertvoller Schutz. Experimente zeigten, dass die von einem Marienkäfer bewachten Kokons viel seltener von Räubern erbeutet wurden als "alleinstehende" Kokons oder solche, die von einem toten Käfer bewacht wurden.

Während bei vielen anderen parasitären Schlupfwespenarten die Wirtstiere im Verlauf der Larvenentwicklung sterben, bleibt das Opfer von Dinocampus coccinellae bis zum Schlüpfen der fertigen Wespe am Leben. Und rund 25 Prozent der in Wächterzombies verwandelten Marienkäfer erholen sich übrigens vom Wespenwahnsinn.

Besonders rätselhaft ist aber zum einen die Tatsache, dass die zombieartige Lähmung der Marienkäfer erst auftritt, nachdem die Larve den Wirt verlassen hat und die Verpuppung beginnt. Zum anderen ist erklärungsbedürftig, warum diese Lähmung aufhört, nachdem die Wespe geschlüpft ist.

Diesen Fragen ist nun abermals das französische Team um Guillaume Mitta von der Universität Perpignan nachgegangen. Und die Forscher haben dabei eine Entdeckung gemacht, die womöglich auch andere Manipulationen durch Parasiten in einem neuen Licht erscheinen lässt. Kelli Hoover, Entomologie-Professorin an der Pennsylvania State University, hält die neue Studie, an der sie nicht beteiligt war, jedenfalls für eine der interessantesten, die sie in letzter Zeit gelesen habe.

Die Wissenschafter hatten allerlei mögliche Kandidaten für diese fiese Gedankenmanipulation im Verdacht, die sich aber alle nach und nach als falsch erwiesen. Schließlich begannen sie, die Gehirne der Käfer nach verdächtigen Genaktivitäten zu durchsuchen - und wurden fündig: Postdoc Nolwennn Dheilly entdeckte, dass sich in den Hirnen der gelähmten Käfer ein unbekanntes RNA-Virus ausgebreitet hatte, das in den Hirnen gesunder Käfer völlig fehlte. Die Parasitologin und ihre Kollegen nannten das Virus DcPV (für Dinocampus coccinellae paralysis virus) und erläutern seine heimtückische Funktionsweise.

Wie die Forscher in den Proccedings B der Royal Society berichten, tragen die erwachsenen Brachwespen dieses Virus im Körper und injizieren es gemeinsam mit dem Ei in den wehrlosen Marienkäfer. Das Virus vermehrt sich zwar rasch, dringt aber nicht bis ins Hirn des Wirtstiers vor. Erst wenn die Larve den Körper des Käfers verlässt, befällt das DcPV auch Hirnzellen und richtet dort massiven Schaden an.

Manipulierte Immunabwehr

Der Grund für diese perfekte zeitliche Koordination dürfte in der von den Larven im Körper manipulierten Immunabwehr der Käfer liegen. Erst wenn sie den Körper verlassen haben, kommt es durch DcPV zur lähmenden Wirkung im Gehirn. Zwar geben auch die Forscher selbst noch zu bedenken, dass der Vorgang noch nicht in allen Details verstanden ist. Offensichtlich sei aber, dass bei der Zombiefizierung durch Parasiten vielfach noch kleinere Organismen wie eben Viren beteiligt sein dürften - was diese grausamen Erfindungen der Evolution nicht weniger faszinierend macht. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 14./15.2.2015)