Stefan Maran verspürt keine Wehmut. "Ich bin ein Pionier und kein Verwalter. Die Zeit war reif, meine Aufgabe erledigt." Vier Jahre ist es her, dass seine Frau und er ihre sieben Biomärkte an den deutschen Händler Dennree verkauften. Maran kommt aus einer Zeit der kleinen Strukturen in der Produktion. Mit der Industrialisierung der Biobranche, zu der er mit seinen Filialen in bescheidenem Ausmaß beitrug, hat er heute nichts mehr am Hut.
"Wir waren Teil dieser Entwicklung und haben sie gefördert, aber irgendwann beginnt man nachzudenken." Über sinkende Qualitätsstandards etwa, über Biomarken, die von internationalen Konsumgüterriesen aufgekauft wurden, und über Massentierhaltung, die auch unter biologischen Richtlinien Massentierhaltung bleibt.
Die Marans zogen sich auf einen Bauernhof im Burgenland zurück. "Wunderschön war es, sich nach den Mondphasen zu richten, aber dann ist es uns ein bisserl langweilig geworden." Seit 2013 machen die beiden daher mit einem Geschäft in Wien auf vegan.
Der tierfreie Markt wächst weit stärker als der rein biologische - und ist transparenter für jene, die am weltweiten Wildwuchs an Zertifikaten und Siegeln zweifeln. Maran sieht im Veganen eine tiefgreifende Veränderung in der menschlichen Ernährung, "wir stehen hier erst ganz am Anfang."
Zeit der Wegbereiter ist vorbei
Bio per se verliert nicht an Kraft. Mehr als 2000 Aussteller tummelten sich diese Woche auf der Branchenmesse Biofach in Nürnberg. Vorbei sind die Zeiten der Wegbereiter in ihren selbstgestrickten Pullovern, längst beherrschen multimedial vernetzte Manager in Anzug und Krawatte die Szenerie. Exotik versprühen nur noch die Länder, die groß mitmischen. Chinesen etwa geben sich als Bioexperten ebenso selbstbewusst wie die Spanier. Bulgaren und Mongolen wollen es gerade werden.
Doch wer auf Bio allein vertraut, sieht alt aus. Neben tierbefreiten Lebensmitteln boomt Superfood, das mit allerlei Nährstoffen angereichert ist. Ein rotes Tuch für Allergiker und solche, die es meinen zu sein, sind Fruchtzucker, Laktose und Gluten. Weshalb auch Bioanbieter gut daran tun, diese Stoffe wegzulassen.
"Die Leute werden immer unverträglicher", sagt Marktforscher Wolfgang Richter und kann sich angesichts laufend neu entdeckter Leiden ein wenig Ironie nicht verkneifen. Als Chef von Regioplan verfolgt er das Gedeih des Handels seit drei Jahrzehnten. Das Potenzial, das in Fragen rund um die Gesundheit steckt, bleibt aus seiner Sicht hoch wie eh und je. Zumal laufend getrommelt wird: "Iss gesund, betreib Sport, mach dich schön und wasch dir die Hände."
Richter sieht in Österreich bei Bioprodukten, von denen weitere Essenstrends ausgehen, nach wie vor jährliche Wachstumsraten von zehn Prozent. Der Anteil an biologischen Lebensmitteln mache bereits ein knappes Zehntel aus. Langfristig hält er 20 bis 25 Prozent für realistisch. Richtungsweisend dafür sei die Preisentwicklung und Strenge der internationalen Biokriterien.
"Nische der Reichen"
Die Agrarmarkt Austria zog für Bio in Österreich jüngst eine nur unwesentlich schwächere Bilanz: In den ersten acht Monaten 2014 sei der Umsatz im Handel (ausgenommen Brot) um 6,9 Prozent auf 391 Millionen Euro gestiegen. Dass es noch kein Jahr ohne zweistelliges Wachstum gegeben habe, bestätigt Günter Achleitner, der als größter seiner Branche den gesamten Handel mit Obst und Gemüse aus Bioanbau beliefert. Mit 160 Mitarbeitern setzt er 20 Millionen Euro um. Allein die Hauszustellung der Biokistln habe, wie er sagt, um ein Fünftel zugelegt.
Dennoch stimmen nicht alle in den Chor der Jubelnden ein. Wilfried Oschischnig, Agrarexperte, der einst für den Bauernverband Bio Austria arbeitete, beobachtete in den vergangenen Jahren wenig Elan. Wien sorgt in Österreich für 70 Prozent des Biogeschäfts, rechnet er vor. "Erreicht die Branche künftig nicht auch die Kinder sozial schwächerer Familien, wird sie zu einer Nische der Reichen."
Österreichs Agrarpolitik wirft er Visionslosigkeit vor - die sich in der stagnierenden Zahl an Biobauern widerspiegle: Der Anteil der Bioflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche verharrt seit Jahren auf einem Fünftel. In den Landwirtschaftskammern haben aus seiner Sicht zurzeit vor allem die Verfechter des konventionellen Anbaus das Sagen.
Unbestritten ist, dass sich eine Kluft auftut: Auf der einen Seite die Lust der Konsumenten auf Biologisches, Fleischloses und sogenannte Free-from-Lebensmittel - auf der anderen Seite markante Lücken im Angebot. Es sind vor allem fertige Produkte und starke Marken, die Österreich fehlen.
Nur wenige Betriebe wie Sonnentor, Sonnberg, Zotter oder Lukashof reüssieren unter eigenen Namen. Die meisten bedienen Labels der Supermärkte. Engagierte regionale Spezialisten sind für die flächendeckende Belieferung des Handels meist zu klein. Und in der Weiterverarbeitung mangelt es an Tiefe. Vegane Anbieter sind daher je nach Saison bis zu 80 Prozent auf Importe angewiesen. Unterm Strich lässt sich der Bedarf der Österreicher an Bioprodukten nach wie vor nur zu gut 30 Prozent aus dem eigenen Land decken, erzählen Händler. Bei Drogeriewaren und Kosmetik werden bis zu 90 Prozent im Ausland beschafft.
So zersplittert die Produktion, so geballt ist die Macht im Vertrieb. Es gibt kein Land in Europa, in dem Bio vom klassischen Handel so stark besetzt ist wie in Österreich, sagt Richter. "Keine Viertelstunde im Fernsehen vergeht, ohne dass uns ein Schweinderl erzählt, wie natürlich alles ist." Auch Diskonter beanspruchen Biologisches vehement für sich. Anders als in Deutschland bleibt neben Rewe, Spar, Hofer, Lidl, Zielpunkt für Spezialisten wenig Platz. Vor allem reine Bio-Supermärkte haben sich hierzulande blutige Nasen geholt. Livit und Biomarket scheiterten; Letzterer versucht nun mit neuen Eigentümern unter dem Namen Biofeld sein Glück. Auch aus der groß geplanten Expansion von Basic wurde nichts. Die deutsche Kette mit zwei Filialen in Salzburg und Wien muss neu Anlauf nehmen. Allein Dennree wächst still und leise, aber zügig vor sich hin.
"Der Hase vor der Schlange"
Der deutsche Naturkosthändler ist der größte Europas. 178 eigene Filialen und Lieferungen an insgesamt 1300 Biohändler ließen den Umsatz im Vorjahr um 14 Prozent auf 710 Millionen Euro steigen. 35 Millionen kamen aus Österreich. Es war die Übernahme von Maran, die Denn' s-Biomärkten hierzulande rasch Raum verschaffte.
Geschäftsführerin Mareike Nossol eröffnet im Frühling neben den derzeit 17 Standorten je einen in Klagenfurt und Wien. In Summe will sie jährlich fünf neue Läden stemmen. Der Markt sei noch lange nicht gesättigt, sagt sie. "Denn die veränderten Ernährungsgewohnheiten speisen das Wachstum."
Maran selbst wundert sich, warum österreichische Händler, die im konventionellen Geschäft stark unter Druck gerieten, das Feld der Bioketten den Deutschen überlassen. "Da fehlt's an Mut. Keiner hat sich drübergetraut, jeder verharrt wie der Hase vor der Schlange." (Verena Kainrath, DER STANDARD, 14.2.2015)