Der Krieg als Collage von Fragmenten: Alfred Tarazi fragt nach der offiziellen Erinnerung und der Möglichkeit zu verstehen.

Foto: Tamara Rametsteiner

aus der Serie: "Vessels" (2015) von Alfred Tarazi

Foto: Tarazi, Galerie Krinzinger
Foto: Tarazi, Galerie Krinzinger

Der Anblick könne heftig, ja beunruhigend sein, aber der Gestank - der Satz bricht an der Stelle ab, wo die Worte fehlen für das Grauen, das der Geruch hervorruft. Es ist der Atem des Todes, für den der Erzähler in Alfred Tarazis Geschichte Vessel keine passenden Worte hat; stattdessen entwickelt er Bilder, die nicht weniger schrecklich sind. Wenn jemand von Kugeln durchlöchert, von Granatsplittern zerfetzt werde, erzählt er, breite sich eine Mischung aus Blut, Urin, Kot um den Körper aus. Nach wenigen Minuten sei so ein Massaker beendet, aber dann bleibe man mit den toten Körpern zurück. Der Mensch wird im Tod zum logistischen Problem. Geiseln hat man daher später gleich in ihrem Containergrab im Meer versenkt.

Es sind fünf Geschichten, die Alfred Tarazi für die Ausstellung The Senseless Realm in der sogenannten Galerie im Parterre der Wiener Galerie Krinzinger aufgeschrieben hat - eine furchtbarer als die andere. Alle handeln vom Libanonkrieg. In Vessels verknüpft er die Erinnerungen eines Freischärlers mit den historischen Fakten der Massaker von Sabra und Schatila 1982, als mitten im Libanesischen Bürgerkrieg etwa 150 Milizionäre zwei Flüchtlingslager in Beirut, in denen palästinensische Flüchtlinge lebten, stürmten. Die Opferzahl ist bis heute nicht geklärt - sie wird mit 460 bis 3000 angegeben.

Wahrheit und Krieg

Um zu verstehen, warum Tarazi diese brutalen Episoden, diese Collagen aus Zeitungsartikeln, aus erzählten Anekdoten, aus Geschichtsschnipseln, niedergeschrieben hat, muss man wissen, dass der Künstler zwar in Beirut geboren wurde, aber während des Kriegs noch ein kleiner Bub war: Auch er schaut nicht unmittelbar auf jene Zeit zurück, sondern erfährt Geschichte nur als Konstruktion, nähert sich über Archive, liest Berichte, betrachtet Bilder. Alfred Tarazi fragt sich, wie groß der Anteil dieser Zeugnisse an der "Wahrheit" ist und ob sie dabei helfen können, zu verstehen.

Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Künstler mit der jüngeren Geschichte seines Landes und insbesondere mit dem Fehlen einer "offiziellen" Erinnerung. Die wahre Katastrophe, sagte Tarazi einmal, sei, dass der Krieg deshalb nur eine dunkle, weitgehend unhinterfragte Erinnerung in den Köpfen der Menschen bleibe.

Für The Senseless Realm hat er Bildpanoramen collagiert, hat private und mediale Fotos aus der Zeit des Libanonkriegs zu einer fortlaufenden Landschaft zusammengesetzt. Über eine Kurbel kann der Betrachter diese schaurigen, mit der Textebene unterlegten Szenarien abspulen. Tarazi hat dies (gemeinsam mit Arie Akkermans) als das "Betreten einer permanenten Ruine" beschrieben, als eine "Welt von verkümmerten Gefühlen und Halbwahrheiten."

Tatsächlich wird über das Kurbeln die Erfahrung sehr unmittelbar, und so machen die drastischen Texte, trotz aller Halbwahrheiten, betroffen. Eine Emotion, die das Anliegen, einmal mehr die Konstruktion von Geschichte vor Augen zu führen, schwächt. (Anne Katrin Feßler, Album, DER STANDARD, 14.2.2015)