Bild nicht mehr verfügbar.

Menschenrechtsaktivisten machen am Jahrestag des Einsturzes der Rana-Plaza-Fabrik in Bangladesch auf schlechte Arbeitsbedingungen in der Textilbranche aufmerksam.

Foto: Olivier Hoslet / EPA

Anniken sitzt da und weint. Es ist die erste Szene der von der norwegischen Tageszeitung "Aftenposten" veröffentlichten Reality-Serie "Sweat Shop. Dead Cheap Fashion". Drei junge und modebewusste Norweger wurden dafür auf eine ungewöhnliche und unangenehme Reise nach Kambodscha geschickt: "Was passiert wenn man drei junge Norweger ins Ausland schickt, um die Arbeiter zu treffen, die unsere Kleidung nähen?" heißt es im Trailer. Frida, Ludvig und Anniken sollen sich die Arbeitsstätten vor Ort nicht nur ansehen - sie arbeiten mit, lernen Näherinnen und Näher kennen, essen mit ihnen und schlafen in den Bunkern der Textilarbeiter. Die drei sonst so lockeren und hippen Norweger sind trotz aller Vorbereitung geschockt. Regelmäßige Heulkrämpfe und Fassungslosigkeit dominieren die fünf Folgen der Doku. "Natürlich denkt man darüber nach", sagt Anniken in einer Folge. "Aber man sitzt zuhause in seinem Bett in Norwegen und ist weit weg."

Was blieb von Rana Plaza

Fassungslosigkeit herrschte auch nach dem Einsturz der Rana Plaza Fabrik in Bangladesch. Am 24. April jährt sich die Tragödie, bei der über 1.100 Menschen ihr Leben verloren und es 2.438 Verletzte gab, zum zweiten Mal. Das Unglück rückte die viel zu geringen Sicherheitsstandards, aber auch auf die schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Löhne der Näherinnen und Näher ins Licht der Öffentlichkeit.

Was wurde aus dem medialen Aufschrei? Michaela Königshofer von der Clean Clothes Kampagne mit guten und schlechten Nachrichten: "Bahnbrechend war sicherlich das neue Sicherheitsprogramm für Fabriken in Bangladesch, das nach der Katastrophe entstand." Das Abkommen umfasst unabhängige Inspektionen von Zulieferfabriken, öffentliche Berichterstattung, zwingende Reparaturen und Erneuerungen. 30 große europäische Bekleidungskonzerne wie H&M und Inditex haben den "Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh" unterzeichnet, mehr als 1000 Fabriken in Bangladesch sind abdeckt.

Mindestlöhne nicht genug

Ärgerlich findet es Königshofer zu hören, wenn Firmen damit werben, dass sie sich ans Gesetz halten: "Die Mindestlöhne sind in vielen Produktionsländern viel zu niedrig. Die Leute können mit dem Geld nicht überleben." In Mazedonien decke der Mindestlohn nach Berechnungen von Clean Clothes etwa nur 14 Prozent davon ab, was man zum Überleben braucht. "In Bangladesch liegt der Mindestlohn bei 50 Euro", sagt Königshofer. "Unternehmen ziehen sich hier aus der Verantwortung."

Bewusstsein in den Kinderschuhen

Dass das Bewusstsein für existenzsichernde Löhne und faire Arbeitsbedingungen in der Textilbranche auch bei Konsumenten noch in den Kinderschuhen stecke, findet Nunu Kaller, Konsumentensprecherin bei Greenpeace: "Faire und ökologische Mode ist meines Erachtens nach dort, wo Bio bei der Ernährung vor 25 Jahren war. Heute hat jeder große Diskonter eine eigene Bio-Linie." Auch bei Bekleidung würde das Bewusstsein langsam wachsen. Die Situation habe sich außerdem erst in den letzten 25 Jahren derartig verschlechtert: "Damals produzierten viele Betriebe in Europa, wo entsprechende Arbeitsgesetze herrschen. Inzwischen ist der überwiegende Großteil der Produktion in Billiglohnländer wie Bangladesch und Pakistan ausgelagert", sagt Kaller, die sich bis vor kurzem selbst noch als shopping-süchtig beschrieb. SIe beschloss darauf sich ein Jahr Shoppingpause zu verschreiben. Ihre Erfahrungen und Gedanken teilte sie in einem Blog, nach erfolgreichem Abschluss des Projekts fasste Kaller ihre Erlebnisse in einem Buch zusammen.

Mitten im Gütesiegel-Urwald

Große Modeketten wie H&M oder Inditex achten vor allem seit dem Unglück in Bangladesch sehr darauf mit fairer Herstellung und guten Arbeitsbedingungen zu werben. Was aber steckt hinter den vielen "Grünen Linien"? "Im Endeffekt kann man sich nur an DesignerInnen wenden, die noch selbst produzieren, oder sich an Gütesiegeln orientieren. Hier herrscht aber leider ein regelrechter Urwald", sagt Nunu Kaller. Auch Michaela Königshofer bestätigt, dass es viele Kodizes und Gütesiegel gibt. "Für existenzsichernde Löhne steht vor allem die Fair Wear Foundation", sagt Königshofer. Dennoch gibt es auch hier ein großes Aber: "Es ist mehr ein Prozess, den sich Unternehmen vornehmen." Bei Fair Wear gebe es eine Art Leiter an Gehaltsstandards, die Unternehmen müssen diese Stufe für Stufe hinaufsteigen. "Das kann lange dauern", sagt Königshofer.

Ich kauf nix mehr

Die drei Norweger sind mittlerweile wieder in Europa. Obwohl die Schocktherapie vor Ort bei allen ihre Spuren hinterließ, scheint ein paar Monate nach dem Ausflug wieder alles beim Alten zu sein - zumindest ein Blick auf Annikens Blog verrät, dass sie noch immer auf H&M, Zara & Co. setzt.

Das findet auch die österreichische Modebloggerin Madeleine Alizadeh (alias DARIADARIA) Schade. Abgesehen davon, dass das Thema in die Massenmedien gerückt wurde, war ihr der Zugang der drei viel zu naiv: "Es ging leider überhaupt nicht um die Menschen vor Ort." Geheult hätte sie vielleicht auch, "auch wenn ich mir in Indien solche Produktionsstätten schon angesehen habe", sagt Alizadeh. Sie stieg im November 2013 auf faire Mode um: "Ausschlaggebend war eine Doku über das Gerben von Leder. Da hab ich mir gedacht, dass ich die Reichweite, die ich durch meinen Blog habe, nützen möchte um etwas zu verändern." Am Anfang fiel es Alizadeh schwierig als hauptberufliche Modebloggerin auf H&M, Zara und Forever 21 zu verzichten - "ein hundertprozentiger Umstieg ist in meinem Beruf auch gar nicht möglich", sagt sie. Dennoch versucht sie, die Balance zu halten. Wie Kaller ist auch sie der Meinung, dass sich das Bewusstsein für faire Mode erst entwickeln wird. "Noch ist es eine Nische. Aber in den nächsten Jahren wird sich sicher noch einiges verändern - hoffentlich auch in den Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter."

20.500 Euro Entschädigung in Oberösterreich

Vor Problemen sind die heimischen Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter aber auch nicht ausgenommen: In Oberösterreich konnte die Arbeiterkammer (AK) eine Entschädigung für einen nach 24 Jahren gekündigten Mitarbeiter eines Textilbetriebs erstreiten. In der Endabrechnung des Mannes waren Ansprüche falsch berechtet und 20 Überstunden "spurlos verschwunden", wie es in einer Aussendung heißt. Die AK-Experten seien auf eine ganze Liste von Fehlern gestoßen: Die Abrechnung mehrerer Monate, Beendigungsansprüche und Entgelt für offene Urlaubstage seien falsch berechnet worden. So habe der Mann regelmäßig Nachtarbeit geleistet, in den letzten zwei Monaten seiner Tätigkeit sei der 75-prozentige Zuschlag dafür aber nicht bezahlt worden. Das schmälerte auch die Berechnungsgrundlage für die Abfertigung.

Die AK klagte und erreichte schließlich einen Vergleich: Der Arbeitnehmer bekam fast 20.500 Euro Nachzahlung und ein ordnungsgemäßes Dienstzeugnis. (Lara Hagen, derStandard.at, 27.2.2015)