Was die Vereinbarung von Minsk wirklich wert ist, wird man schon bald sehen. Dennoch: Es war wohl das Maximum dessen, was nach Lage der Dinge erwartet werden konnte. Angela Merkel - es wurde an dieser Stelle bereits gestern gewürdigt - hat sich endgültig als die europäische Krisenmanagerin etabliert. In dieser Rolle wird sie künftig vermutlich noch mehr gefordert sein.

Denn im Grunde ist Minsk II - nach dem gescheiterten ersten Abkommen vom September - ein klarer Punktesieg Wladimir Putins. Falls der Waffenstillstand ab Sonntag eingehalten wird und beide Seiten tatsächlich das schwere Kriegsgerät abziehen, bedeutet dies die De-facto-Anerkennung der von den Separatisten kontrollierten Gebiete, die sie mit ihrer jüngsten Offensive beträchtlich ausgeweitet haben. Letztlich dürfte es auf eine mit jener der abtrünnigen Regionen Georgiens und der Republik Moldau vergleichbaren Situation hinauslaufen.

Dieses strategische Muster war ja auch im Fall der Ukraine von vornherein klar. Putin befindet sich nun scheinbar in einer sehr komfortablen Position: Hält der Waffenstillstand, dann verfestigt sich die Lage auch politisch, die "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk werden Alltagsrealität. Erweist sich die Waffenruhe als brüchig, werden sich schnell Schuldige finden lassen, es wird neue Kämpfe mit vermutlich weiteren Geländegewinnen für die Rebellen geben - bis zum nächsten Krisengipfel. Die westlichen Differenzen über Waffenlieferungen an Kiew werden sich verschärfen, die Anti-Kriegs-Stimmung in der Ukraine wird weiter wachsen. Je instabiler die Lage, je uneiniger das westliche Lager, desto besser für den Kreml.

Aber sind Putins Aussichten wirklich so rosig? Russlands Wirtschaft befindet sich in einer Rezession, die sich nach allen Prognosen noch vertiefen wird. Ursache sind nur zu einem geringen Teil die westlichen Sanktionen. Das Sinken der Öl- und Gaspreise hat die Grundschwäche der rohstofflastigen Ökonomie gnadenlos bloßgelegt. Auf Dauer wird sich Putin nicht auf die Sanktionen ausreden können. Und der nationale Überschwang nach der "Heimholung" der Krim könnte angesichts trister Lebensrealität in breiten Frust umschlagen.

Das wird nicht kurzfristig geschehen. Aber sehr lange wird Russlands Wirtschaft die enormen Kosten des Putin'schen Neoimperialismus nicht mehr verkraften, der vom militärischen Aufrüstungsprogramm über die Finanzierung von Pseudostaaten wie Abchasien, Südossetien und Transnistrien bis zum Ukraine-Feldzug reicht. Da ist der Wiederaufbau in den ostukrainischen "Volksrepubliken" noch gar nicht eingerechnet.

Ein Blick in die jüngere Geschichte ist aufschlussreich. Ende 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, neun Jahre später zog sie wieder ab. Die in jeder Beziehung immensen Kosten dieses Feldzuges trugen einiges zum Kollaps der UdSSR Ende 1991 bei. Vermutlich hat Putin dies aus seiner Trauer um das Sowjetimperium ausgeblendet. Ganz sicher glaubt er, es besser zu machen. Minsk II wird ihn darin bestärken.

Die adäquate Schlussfolgerung für den Westen kann nur in einer gemischten Strategie bestehen: hartnäckiges Krisenmanagement à la Merkel, Vermeidung weiterer Eskalation etwa durch Waffenlieferungen, dosierte Sanktionspolitik - und ein umfassendes wirtschaftliches Hilfsprogramm für die Ukraine. Anders ausgedrückt: Frieden gibt es weder bald noch billig. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 13.2.2015)