Hendrik Dekkers: "Man muss sich überlegen, ob es gut ist, dass Alkohol die einzige Droge ist, die man momentan den Jugendlichen zur Verfügung stellt."

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Hendrik Dekkers, Mitbegründer der Wiener Bürgerinitiative Sobieski-Grätzel, will bei der Gemeinderatswahl für die Neos antreten. Mit ihrem Anliegen, der Verhinderung eines Drogenberatungszentrums im Bezirk Alsergrund, hat die Bürgerinitiative viel mediale Resonanz erzeugt. Über die Frage, ob er mit dem Drogenthema auch Wahlkampf betreiben will, sprach derStandard.at mit Dekkers.

derStandard.at: Warum treten Sie bei der Wien-Wahl plötzlich für die Neos an? Ursprünglich hieß es, Sie würden eine eigene Bürgerliste gründen.

Dekkers: Kurz gesagt, weil es im bestehenden Wahlrecht eigentlich aussichtslos ist, als Bürgerliste anzutreten. Im Gemeinderat endet man als Lachnummer, wenn man keiner Partei angehört. Wir wurden von mehreren Parteien zu Gesprächen eingeladen. Mit den Noes haben wir viele Stunden gesprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass wir auf einer Wellenlänge sind.

derStandard.at: Sie müssen sich aber noch der internen Vorwahl stellen, bevor Sie für die Neos antreten dürfen.

Dekkers: Ja, ich will für die Neos sowohl bei den Bezirks- als auch bei den Gemeinderatswahlen antreten. Es ist möglich, dass ich in den internen Vorwahlen scheitere, aber davon gehe ich nicht aus.

derStandard.at: Sie haben mit der Bürgerinitiative Sobieski-Grätzel viel Medienresonanz erzeugt. Wollen Sie mit dem Thema Drogen auch in den Wahlkampf ziehen?

Dekkers: Ich stehe für Bürgernähe und Transparenz. Wir sind als Bürgerinitiative deshalb so bekannt geworden, weil wir nicht gegen das Drogenberatungszentrum an sich waren. Wir sind durch viele Recherchen und Gespräche zu dem Schluss gekommen, dass die Drogenpolitik der Stadt Wien ebenso wie der Standort für das Drogenberatungszentrum falsch sind. Ich möchte darauf aufmerksam machen, wie in Wien über die Bürger drübergefahren wird und dass wir permanent belogen werden.

derStandard.at: Wo wurden Sie belogen?

Dekkers: Es wird so getan, als finde der Spritzentausch für jene statt, die in der Mitte der Gesellschaft stehen, aber eine Heilung der Drogensucht anstreben. Diese Gruppe geht nicht zum Spritzentausch, diese Gruppe war auch nicht beim Karlsplatz. In Wahrheit tauschen die Spritzen jene Menschen, die es nicht einmal mehr schaffen, sich in der Apotheke eine Spritze um einen Euro zu kaufen. Zum Spritzentausch gehen Randgruppen.

derStandard.at: Wer sind Randgruppen?

Dekkers: Ein armer Mensch, der in der Gesellschaft unter die Räder gekommen ist und psychisch krank ist. Die Junkies, die man vom Jedmayer kennt, die jeder abstoßend findet, die blaue Lippen haben. Das sind diese Junkies, vor denen alle "Angst" haben. Uns hat man immer gesagt, ins Sobieski-Grätzel kommen dann die vollintegrierten Suchtkranken, die im Berufsleben stehen, aber das ist nicht der Fall.

derStandard.at: Was soll man denn mit der Gruppe von Suchtkranken machen, vor denen "jeder Angst hat"?

Dekkers: In jedem Bezirksamt gibt es Gesundheitsstellen, dort könnte man Spritzentauschstellen inklusive Konsumräumen machen. Aber dafür gibt es die gesetzliche Vorlage nicht, denn die Polizei wäre dazu verpflichtet, die Suchtkranken, die sich dort eine Spritze setzen, zu verhaften.

derStandard.at: Also werden Sie mit dem Thema Drogen Wahlkampf machen?

Dekkers: Nicht populistisch und nicht proaktiv.

derStandard.at: Die Neos sind zumindest gemäß Parteibeschluss für die Legalisierung von Cannabis. Wie stehen Sie dazu?

Dekkers: Das Thema illegale Drogen hat viel Leid angerichtet. Die Anbaubedingungen sind eine Katastrophe, für alle, die es hereinschmuggeln, ist es eine Katastrophe, es wird in mafiösen Strukturen vertrieben, und es geht uns viel Steuergeld dabei verloren. Derzeit spritzen sich viele Süchtige in Wien Substitol mit Spritzen und den dafür nötigen Filtern, die die Stadt Wien zur Verfügung stellt. Das ist doch alles ein Hohn. Das ist scheinheilig. Man muss sich eine Drogenpolitik überlegen, die den Konsum und Verkauf in geordnete Bahnen lenkt. Letztendlich bedeutet eine geordnete Drogenpolitik eine Freigabe der Drogen, allerdings darf die Abgabe nicht in Haschtrafiken geschehen, sondern in Apotheken und bei Ärzten.

derStandard.at: Würden Sie auch Heroin freigeben?

Dekkers: Als Medikament würde ich es unter Umständen zulassen. Das ist allemal besser, als jemand stirbt, weil er sich Substitolkapseln spritzt.

derStandard.at: Auch Kokain und Ecstasy?

Dekkers: Ich meine, dass Drogen extrem unterbewerten werden, selbst Hasch. Schauen Sie auf die Seite "Check-it". Die Stadt Wien prüft Partydrogen. Was kommt dann bei einem 14-Jährigen an? So schlecht können Drogen nicht sein, wenn sie von offizieller Stelle überprüft werden. Das ist das Ergebnis dieser nicht geordneten Drogenpolitik.

derStandard.at: Sie sagen einerseits, Drogen sollen freigegeben werden, andererseits kritisieren Sie die Stadt Wien, die mit einer niederschwelligen Drogenberatungsschiene vor lebensbedrohlichen Substanzen in Drogen warnt. Das erscheint widersprüchlich.

Dekkers: Ich denke, man muss sich überlegen, ob es gut ist, dass Alkohol die einzige Droge ist, die man momentan den Jugendlichen zur Verfügung stellt. Vor der Freigabe anderer Drogen müsste man allerdings sehr viel Aufklärungsarbeit leisten und eine ernsthafte Debatte darüber führen. Und grundsätzlich braucht man das Einverständnis der Bevölkerung für die Freigabe von Drogen. Wenn die Gesellschaft zu dem Schluss kommt, es ist gescheiter, man raucht sich einmal pro Woche ein, als das Komasaufen zuzulassen, dann kann man Cannabis legalisieren.

derStandard.at: Würden Sie Ecstasy erlauben?

Dekkers: Das kann ich nicht sagen, ich bin kein Experte. Ich kann nur sehr persönlich sagen, dass ich Menschen kenne, die jahrelang gehascht haben und jetzt weich in der Birne sind. Ich verurteile, dass Jugendliche nicht offen mit Ärzten, Lehrern und Experten sprechen können.

derStandard.at: Sie sagten, Sie wissen nicht, ob es gut ist, dass Alkohol die einzige Drogen ist, die man momentan Jugendlichen zur Verfügung stellt. Welche Drogen würden Sie noch zur Verfügung stellen?

Dekkers: Es geht um die Aufklärung jener, die es nie genommen haben und völlig Ängste haben, und jener, die es ohnehin schon nehmen. Sie haben die Macht des Faktischen, und diese lautet: Unheimlich viele konsumieren schon Drogen. Die Politik agiert nur reaktiv und sagt: Wir testen die Drogen, bevor die tot umfallen.

derStandard.at: Warum spricht die Politik über das Thema nicht?

Dekkers: Als Politiker kann man sich nur ins Fettnäpfchen setzen, wenn man über Drogen spricht. Ich bewundere es an den Neos, dass sie den Mut haben, über Themen zu sprechen, die polarisieren.

derStandard.at: Ist Österreich liberal genug, um derart heikle Themen offen zu diskutieren?

Dekkers: Wir hatten erst kürzlich bei den Neos eine Diskussion über diese Frage. Die einen sagen: Wenn wir heikle Themen angreifen, werden wir ewig eine Minderheitenpartei bleiben. Die anderen sagen: Wir müssen offen über das sprechen, woran wir glauben, und dürfen nicht alles der Stimmenmaximierung unterwerfen. Ich denke, das wird den Neos viel bringen.

derStandard.at: Ein heikles Thema ist die Sterbehilfe, die Neos haben sich prinzipiell dafür ausgesprochen. Wie stehen Sie dazu?

Dekkers: Ich bin dagegen. Ich bin Philosoph, und für mich gilt das Credeo: Nichts aufbrechen. Wenn man einmal einen Teil erlaubt, könnte das irrsinnig schnell aufbrechen und Missbrauch getrieben werden. Manche ältere Menschen könnten sich – weil sie denken, sie fallen der Familie zur Last – verpflichtet fühlen, sich umzubringen.

derStandard.at: Müssen Sie nicht auf Neos-Parteilinie kommen?

Dekkers: Nein. Das ist das Schöne. Bei den Neos gilt das freie Mandat. Gleiches gilt für das Freihandelsabkommen TTIP, auch dieses Thema ist den Neos um die Ohren geflogen. Prinzipiell war das Abkommen eine gute Sache. Mit all den Aspekten, die über TTIP bekannt wurden, ist es mittlerweile nicht mehr mehrheitsfähig. Das Schöne ist, wenn man bei den Neos ist, muss man nicht auf Parteilinie sein. Wenn Sie mit der stellvertretenden Bezirksvorsteherin der Grünen im Bezirk Alsergrund, Monika Kreutz, unter vier Augen sprechen, erklärt sie, welche Katastrophe das mit dem Drogenberatungszentrum ist. Öffentlich schweigt sie, da sie einen Tag nach der Bekanntgabe von der Partei auf Linie gebracht wurde. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 12.2.2015)