Im August 1949, als der Nordatlantikpakt von den USA ratifiziert und unsere Beziehung zu Europa verfestigt wurde, sagte Präsident Harry Truman: "Je enger die Nationen der atlantischen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um Frieden zu schaffen, desto besser ist das für alle Menschen, überall." Die Zeit hat ihn bestätigt. So wie unsere transatlantische Beziehung stärker geworden ist und ausgeweitet wurde, so haben Demokratie, Wohlstand und Stabilität in Europa, den USA und in der ganzen Welt zugenommen.

Obwohl das transatlantische Bündnis so stark ist wie je, steht es vor großen Herausforderungen. Vor allem zwei sind wichtig, weil sie das Völkerrecht, den Multilateralismus und die Weltordnung, an der wir die letzten 70 Jahre gearbeitet haben, auf die Probe stellen.

Die erste Herausforderung ist die Ukraine. Russland gefährdet das Sicherheitsgefüge von Ost- und Mitteleuropa, erst durch seine illegale Annexion der Krim und nun durch seine offenen und dreisten Versuche, die Ostukraine zu destabilisieren.

Auch wir wissen, dass militärische Mittel diese Krise nicht beenden werden - sehr wohl aber Diplomatie. Aber je länger sie dauert, desto weniger Wahl hat die Welt, als den Preis für Russland und seine Stellvertreter in die Höhe zu schrauben. Die USA, Frankreich, Deutschland und alle unsere Verbündeten werden zusammenstehen, um die Ukraine zu unterstützen und das Prinzip, dass Grenzen nicht durch Gewalt geändert werden dürfen, zu verteidigen. In dieser Frage sind wir nicht gespalten.

Die zweite große Herausforderung ist die neue extremistische Gewalt. Das Video der IS, das die Verbrennung eines gefangenen jordanischen Piloten zeigt, ist ein neuer Tiefpunkt an Verkommenheit. Vor kurzem hat die Uno bestätigt, was so viele schon wussten: Die IS kreuzigt Kinder, begräbt sie lebendig und missbraucht geistig behinderte Jugendliche als Selbstmordattentäter.

Die Welt darf vor solchem Extremismus nicht zurückweichen, weder in Pakistan, Nordafrika, Nigeria, Syrien oder im Irak. Die internationale Koalition gegen die IS ist auf mehr als 60 Mitglieder gewachsen. Seit September haben wir 700 Quadratkilometer zurückerobert. Wir haben der IS 200 Öl- und Gasanlagen wieder abgenommen - und damit ihre Erlöse verringert. Wir haben ihre Kommandostrukturen zerstört, ihre Propaganda untergraben, die Hälfte ihrer führenden Köpfe getötet, ihre Finanzierung behindert, ihr Versorgungsnetzwerk beschädigt und ihre Mitarbeiter zerstreut.

Am Beispiel Kobane

Erinnern Sie sich an Kobane, die syrische Grenzstadt zur Türkei. Sie war von Vernichtung bedroht, nachdem die IS mehr als 300 nahegelegene kurdische Dörfer erobert hatte. Die Kämpfer kontrollierten bereits große Teile der Stadt; weltweit rechnete man mit einem einfachen Sieg. Aber dank diplomatischer Zusammenarbeit, gezielter Luftschläge und Bodenunterstützung von Truppen irakischer Kurden wurde die IS vertrieben und verlor rund 1000 Kämpfer.

Aber der Kampf gegen IS ist nur der Anfang. Der Kampf gegen gewalttätige Extremisten wird nicht nur auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern auch in den Schulen, Betrieben, Gebetshäusern, Gemeindezentren, auf Straßenecken und in den Regierungsgebäuden. Und er hängt davon ab, ob es uns gelingt, die Rekrutierung von Terroristen zu verhindern. Wir müssen uns mit Intoleranz beschäftigen, wirtschaftlicher Chancenlosigkeit und der Ausgrenzung, was jenen Leerraum schafft, den dann der Extremismus ausfüllt. Überall dort müssen wir glaubwürdige und machtvolle Alternativen fördern.

Seit Jahren reden angesichts dieser Probleme viele von der Auflösung des internationalen Systems. Ich widerspreche vehement: Das Gegenteil ist wahr. Ich sehe, wie Länder neue und weitreichende Handelsverträge aushandeln, die rund 70 Prozent des weltweiten BIPs betreffen. Ich sehe, wie die Welt zusammenarbeitet, um die Ebolaepidemie zu bekämpfen. Ich sehe die Suche nach einer friedlichen Lösung für die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm. Ich sehe internationale Bemühungen um ein ehrgeiziges globales Klimaabkommen und den Versuch, die Bürgerkriege in der Zentralafrikanischen Republik, in Kolumbien oder der Demokratischen Republik Kongo zu beenden.

Kampf gegen extreme Armut

Ja, wir leben in schwierigen Zeiten. Aber ich sehe die weltweiten Bemühungen, extreme Armut zu bekämpfen, Gesundheitsprogrammen für Mütter und Ernährungsprogramme für Kinder zu fördern, den Zugang zur Bildung zu erleichtern und die Lebenserwartung zu erhöhen. Mehr Menschen denn je haben die Chance auf Wohlstand. Und trotz der Bedrohung durch Extremismus sterben weniger durch Gewalt als früher. All dies wurde durch die Kraft unserer Weltordnung ermöglicht. Wir müssen deren Realität auch dorthin bringen, wo sie ganz fern zu sein scheint.

Wir sind die glücklichen Nachkommen von Erfindern und Tatmenschen, die Sklaverei, Epidemien, Wirtschaftskrisen, Weltkriege und Totalitarismus überwanden - Menschen, die sich vor Herausforderungen nicht schreckten und am meisten erreichten, wenn sie gefordert wurden.

Jetzt sind wir an der Reihe. Die Herausforderung, der wir gegenüberstehen, zwingt uns dazu, uns vorzubereiten, zu planen, uns zusammenzuschließen und unsere gemeinsame Zukunft gegen den atavistischen Verfolgungswahn von Terroristen und Gangstern zu verteidigen. Die Zukunft gehört den universellen Werten Anstand, Vernunft und Rechtsstaatlichkeit. (John Kerry , Copyright: Project Syndicate 2015, DER STANDARD, 12.2.2015)